Verbot der Erinnerung an den Widerstand – Nea Dimokratia in der Tradition der Junta

Plevris, der gegenwärtige Minister Voridis und der gegenwärtige Minister Georgiadis (v.l.n.r.) vor einem Plakat der Obristenjunta. Athanasios Plevris ist Abgeordneter der Nea Dimokratia

Von Deutschland aus betrachtet erscheint eine aktuelle Auseinandersetzung in der griechischen Politik als äußerst bizarr: Während es bei uns Demonstrationen von Zehntausenden völlig ohne Vorkehrungen zum Schutz vor Corona gibt (in denen sιch Rechtsextreme tummeln), verbot der oberste Polizeichef am gestrigen Sonntag im ganzen Land Versammlungen von mehr als drei (!) Personen. Und warum erfolgte diese extrem antidemokratische Maßnahme? Das Verbot wurde explizit damit begründet, dass Demonstrationen und Versammlungen zur Erinnerung an den Studentenaufstand gegen die Diktatur der Junta 1973 verhindert werden sollen. Ein schlechter Scherz? Offiziell begründet wurde das Verbot als Maßnahme der Pandemieeindämmung.

Die Demonstrationen und Kundgebungen zur Erinnerung an die blutige Niederschlagung des Studentenprotestes gehören für die griechische Linke seit dem Ende der Diktatur zu den wichtigsten Veranstaltungen des Jahres. Traditionell wird drei Tage lang (vom 15. bis zum 17. November) dieser historischen Ereignisse gedacht. Sehr viele Menschen beteiligten sich jedes Jahr an Demonstrationen. Grund genug dafür, dass Regierung und Opposition sich in der letzten Woche heftig über die Frage öffentlich stritten, ob in diesem Jahr angesichts der Corona-Vorsichtsmaßnahmen demonstriert werden darf. Der Streit wurde im Parlament mehrfach direkt zwischen den Parteivorsitzenden Mitsotakis (Nea Dimokratia), Tsipras (Syriza), Koutsoumbas (Kommunisten) und Varoufakis (Mera25) ausgefochten.

Aus der Opposition wurde angekündigt wegen der aktuell bedrohlichen Entwicklung der Pandemie keine große Demonstration durchzuführen und Corona-Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten. Yannis Varoufakis z.B. kündigte sehr konkret an, dass eine Delegation von 9 Personen seiner Partei den traditionellen Weg der 17. November-Demonstrationen ablaufen würde, d.h. zur Politechnischen Universität, wo der Aufstand von unbewaffneten Student*innen durch Panzer niedergeschlagen wurde und zuletzt zur Botschaft der USA. Aber auch diese Ankündigung wurde seitens der Regierung heftig angegangen. Der Minister für Bürgerschutz Michalis Chrysochoidis persönlich rief Varoufakis an und kündigte ihm an, dass die 9 Mitglieder der Delegation von Mera25 verhaftet werden würden, wenn sie diesen Gang gehen würden (1). Bereits heute verhinderte die Polizei eine Kranzniederlegung der Lehrergewerkschaft OLME am Polytechnikum.

Als Student*innen am letzten Freitag versuchten, die Polytechnische Universität zu besetzen, räumte die Polizei die Uni, verhaftete 68 Personen und hielt sie stundenlang auf der Polizeiwache gefangen.
Am gestrigen Sonntag (15.11.2020) verbot der Polizeichef im ganzen Land Versammlungen von mehr als drei (!) Personen für die drei Tage des Gedenkens. Das brachte linke Parteien einander näher: Syriza, die Kommunistische Partei und MeRA25 verfassten eine gemeinsame Protestresolution (2), die innerhalb kürzester Zeit von vielen Organisationen und Einzelpersonen unterzeichnet wurde (3). KINAL, die ehemalige Pasok, hat sich dem nicht angeschlossen, der ehemalige Minister Venizelos hält die verfügten polizeilichen Maßnahmen für angemessen und verfassungskonform. Die Universität von Thessaloniki wurde heute und wird morgen komplett geschlossen, um Proteste zu verhindern.

Die Hellenische Union für Menschenrechte und die Partei MeRA25 klagten heute gegen die Anordnung des Polizeichefs vor dem „Staatsrat“, dem obersten Verwaltungs- und Verfassungsgericht Griechenlands (4). Sie argumentieren, die Anordnung sei völlig unverhältnismäßig und würde gegen die Demonstrationsfreiheit der Verfassung verstoßen. Nur das Parlament, nicht die Polizeiführung, könne eine derartige Entscheidung treffen. Am frühen Abend wies der Staatsrat die Klage allerdings ab.

Am Mittag des heutigen Tages (16.11.2020) kam der Pemierminster Mitsotakis von der konservativen Partei Nea Diemokratia plötzlich mit einem neuen Vorschlag an die Öffentlichkeit: Alle Parteien sollten, vertreten durch jeweils eine einzige Person, gemeinsam Blumen am Ehrenmal des Aufstandes niederlegen (5). Fürchtete er, dass der Staatsrat die Anordnung des Polizeichefs aufhebt? Die kommunistische Partei, Syriza und MeRA25 lehnten den Vorschlag umgehend ab. Syriza merkte an, dass der Vorschlag der Anordnung des Polizeichefs zuwiderlaufen würde, weil es sich bei den Parteichefs um mehr als drei Personen handelt (6).

Es geht um die Deutungshoheit bezüglich der Junta-Diktatur 1967-1974. Schon in der Auseinandersetzung im Parlament hatte Mitsotakis gesagt, auch Rechte hätten Widerstand gegen die Junta geleistet, allerdings eher „bescheiden“. Die Linke hingegen will es sich nicht nehmen lassen, an die Diktatur zu erinnern, die eindeutig eine Unternehmung war, linke Politik zu verhindern und deren Opfer in erster Linie Linke waren.
Auch die Junta hatte ein solches Verbot von Ansammlungen von mehreren Menschen verfügt. Viele Kommentatoren weisen auf Verbindungslinien zwischen der Junta und der heutigen Nea Dimokratia hin. Z.B. waren der Stellvertreter von Mitsotakis, Adonis Georgiadis, und Makis Voridis, der Minister für Landwirtschaft und Ernährung, zumindest in der Vergangenheit eindeutig Anhänger der Junta (7).
Sicherlich nutzt die Regierung das Thema auch gerne zur Ablenkung von der katastrophalen Coronaentwicklung im Lande. Es fehlt an vielen Orten an Personal zur Behandlung von Covidpatienten. Zu Recht kritisiert die Opposition die mangelhafte Vorbereitung der Regierung auf die zweite Welle der Pandemie.
In diesen Zusammenhang passt die strafrechtliche Verfolgung der Vereinigung der Krankenhausärzte Thessalonikis (ENITH), die sowohl auf die Notlage in den Krankenhäusern hingewiesen als auch zur Demonstration eingedenk des Studenaufstandes aufgerufen hatten. Wegen letzterem ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft gegen sie (8).

Anmerkungen

1 https://www.protothema.gr/politics/article/1065095/varoufakis-gia-polutehneio-o-hrusohoidis-mou-eipe-pos-tha-sullifthoun-oi-vouleutes-mas-an-kanoun-poreia/
2 https://www.efsyn.gr/ellada/koinonia/268732_polytehneio-ekatontades-ypografes-enantia-stin-aytarhiki-apofasi-tis
3 https://www.efsyn.gr/node/268879
4 https://www.efsyn.gr/ellada/dikaiosyni/268749_prosfyges-mera25-kai-eleda-kata-tis-apagoreysis-tis-poreias-toy
5 https://www.skai.gr/news/politics/paremvasi-mitsotaki-ola-ta-kommata-mazi-sto-polytexneio-me-epikefalis-tin-ptd
6 https://www.efsyn.gr/node/268811
7 „Israel will mit griechischem Minister mit faschistischer Vergangenheit nicht zusammen arbeiten
8 https://www.in.gr/2020/11/12/greece/thessaloniki-paremvasi-eisaggelea-gia-kalesma-enith-se-kinitopoiiseis-polytexneiou/

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Eine Antwort zu Verbot der Erinnerung an den Widerstand – Nea Dimokratia in der Tradition der Junta

  1. kokkinos vrachos schreibt:

    Moin, die Offensive der griechischen Rechtsregierung zielt auf: Alles, was unternehmerische Freiheiten einschränken könnte – und alles, was einem Polizeistaat entgegen steht.

    „Es geht nicht nur um unsere Bemühungen, die Erinnerung an den Polytechnischen Aufstand am Leben zu erhalten, sondern vielmehr um unser Symbol, unser Recht auf öffentliche und kollektive Opposition und letztendlich auf Demonstration gegen neoliberale Politik am Leben zu erhalten.“

    „Für unser selbstverständliches Recht auf Leben müssen wir Widerstand leisten. Wir müssen uns versammeln und gemeinsam demonstrieren. Es muss Widerstand gegen diese Politik geben, jetzt, unter den Bedingungen des Zusammenbruchs von Krankenhäusern, unserer Arbeitsrechte, unserer Bildung, unserer Freiheiten, um morgen hier zu sein!“

    (Aus dem Aufruf vom Koinonikó Stéki-Stéki Metanastón Chaníon / Sozialer Treffpunkt – Treffpunkt der Flüchtlinge in Chania)

    kaló cheimóna, kv

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