„Der gefährlichste Gesetzesentwurf seit der Militärdiktatur“

Aufruf zum Protestmarsch gegen das Gesetz zum Demonstrationsrecht am 7. Juli 2020

Von Ralf Kliche
Mit diesem Titel beginnt der Kommentar der Plattform ThePressProject über den seit kurzem im Parlament vorgelegten Gesetzesentwurf der Regierungspartei Nea Dimokratia zur Verschärfung des Demonstrations- und Versammlungsrechts. (1)
Mit dem derzeit in Ausschüssen diskutierten Gesetz möchte die Regierung ein „modernes“ Demonstrationsrecht durchsetzen, demzufolge Demonstrationen bei der Polizei angemeldet werden müssen und von ihr verboten werden können, wenn die öffentliche Sicherheit als gefährdet angesehen wird. Ggf. können auch Einschränkungen hinsichtlich Größe und Ort der geplanten Demonstrationen und Versammlungen ausgesprochen werden. Die verantwortlichen Anmelder können mit Gefängnisstrafen von bis zu zwei Jahren für die Durchführung nicht genehmigter Demonstrationen bestraft werden.
Bei allen linken Organisationen und Plattformen, aber auch bei gewerkschaftlichen Vertretern von Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern, von Polizei und Feuerwehr hat dieses Vorhaben einen einhelligen Aufschrei ausgelöst, eingeschlossen das Parteienspektrum von Syriza bis Kommunistischer Partei.

Für Beobachter, die das deutsche Demonstrationsrecht im Hinterkopf haben, mögen die Entwicklungen auf den ersten Blick kurios erscheinen. Deshalb gilt es, für eine Beurteilung zunächst die griechischen Verhältnisse beim Versammlungsrecht etwas zu sortieren. Dabei hilft ein Artikel von Tassos Kostopoulos aus der EfSyn. (2) Er macht deutlich, dass die letzte vergleichbare gesetzliche Fixierung des Versammlungsrechts auf die Jahre 1971/1972 zurückgeht, als die Obristen-Diktatur auch Verbots-Zonen für Versammlungen in vielen griechischen Städten einrichtete (z.B. Athen, Thessaloniki, Patras, Kalamata, Chania – im zitierten Text finden sich entsprechende Ausschnitte der Stadtpläne). Organisatoren und Redner konnten bei Verstößen mit Haftstrafen zwischen einem halben Jahr und 5 Jahren bestraft werden. Der Verfasser verweist darauf, dass die entsprechenden gesetzlichen Regelungen aber auch von der Junta nur einmal genutzt wurden, nämlich bei der Niederschlagung der Aufstände am Polytechnicum. Ansonsten blieben sie in der Schublade – auch weil zumeist sowieso das Kriegsrecht galt. Das blieb auch nach dem Sturz der Junta so. Weder wurden die Gesetze abgeschafft noch geändert. So hat sich in den letzten Jahrzehnten ein Zustand herausgebildet, wie er mir für Griechenland nicht untypisch erscheint. Es besteht eine – von vielen ungewollte – Gesetzeslage, die aber außerhalb des öffentlichen Bewusstseins liegt und nicht umgesetzt wird. Faktisch bedeutet dies, dass gar kein Demonstrationsrecht gilt. Soll eine Demonstration durchgeführt werden, machen die Veranstalter sie der Polizei bekannt – und gut. Vor Ort entscheidet sich dann aufgrund der handelnden Personen / Organisationen wie im Einzelfall verfahren wird. Zwar greift die Polizei bei erkannten oder vermuteten Straftaten ein, die Demonstration als solche ist aber nicht der Auslöser polizeilichen Handelns.

Diesen Zustand will der zuständige Katastrophenschutz-Minister Chrysochoidis nun ändern, zur Herstellung von „Sicherheit“ und zum Schutz von „Ladenbesitzern, die unter Kundgebungen leiden“ (1). Nach Aussage des Regierungssprechers Petsas sei sichergestellt: „Die Rechte derer, die ihren Protest ausdrücken wollen, ist gewährleistet, aber nur ohne die Rechte der Vielen zu verletzen“. (3) Das könnte man in Deutschland genauso hören. Und die Kathimerini als Verteidiger des Gesetzesentwurfs argumentiert zusätzlich, dass des Versammlungsrecht aus einem durch die Vergangenheit der Junta belasteten Graubereich gezogen und klar geregelt würde: „Ja, die Gesetze von 1972 sind inaktiv, aber morgen kann jemand sie anwenden.“ (4) Im Gegensatz zur heutigen Regierung, so stimmt sie einem Juristen zu, hätten alle vorherigen Regierungen seit 1974, Nea Dimokratia, Pasok und sogar Syriza es vorgezogen, die Gesetz der Diktatur unangetastet zu lassen.

Kritiker hingegen verweisen darauf, dass die „modernen“, „verfassungsgemäßen“ Vorschriften nicht viel besser seien, als die alten der Junta, im Einzelfall sogar schlimmer. Damals wurde z.B. eine Versammlung als nicht verboten eingestuft, wenn die Verbotsverfügung nicht mindestens acht Stunden vor Beginn zugestellt war. Dies ist nun dahingehend geändert, dass die Polizei den Bescheid „rechtzeitig“ zustellen muss. Auch braucht die Polizei für eine Verbotsverfügung nicht mehr eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft, es reicht deren bloße Information. Ich habe keinen Hinweis gefunden, dass die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung einer Verbotsverfügung in einem Eilverfahren möglich ist, so dass ein Gericht eine verbotene Demonstration wieder erlauben kann.
Überhaupt wird der Vorwurf erhoben, dass die Kriterien für Verbote wie „Bedrohung des sozioökonomischen Lebens“ sehr vage bleiben und Maßnahmen gegen Polizeiwillkür völlig fehlen (z.B. Möglichkeiten der Identifikation einzelner Beamter), während die individuelle Verantwortung der Anmelder von Demonstrationen sehr weit gefasst wird.
Anmelder müssen mit der Polizei uneingeschränkt zusammenarbeiten, auf deren Aufforderung einzelne Teilnehmer entfernen und bei Vorfällen zivil- und strafrechtliche Verantwortung übernehmen. Vertreter der Vereinigung der Richter und Staatsanwälte haben darauf bereits im März hingewiesen (5): „Dem ‘Veranstalter‘ werden nun die Aufgaben eines Polizeibeamten, eines Mitarbeiters der zuständigen Polizei oder der Hafenbehörde mit der Verpflichtung zur Einhaltung ihrer Anweisungen übertragen.“
In der Strafandrohung kommt nun die „Teilnahme an einer verbotenen Demonstration“ neu hinzu. Hierfür gibt es maximal ein Jahr, während bis zu zwei Jahren verhängt werden können, wenn auf einer verbotenen Demonstration Straftaten begangen wurden – unabhängig vom individuellen Verhalten des jeweiligen Angeklagten.

Sollte der Gesetzesentwurf tatsächlich beschlossen und umgesetzt werden, dürfte dies tatsächlich zu einer deutlichen Verschlechterung der politischen und juristischen Bedingungen für Protest in Griechenland und zu einer Annäherung an die Bedingungen führen, die in der Bundesrepublik als „normal“ gelten. Nach der Abschaffung des Universitätsasyls im September des letzten Jahres wäre damit der Regierung Mitsotakis ein weiterer Schritt zur Bekämpfung möglicher Aufstände und zur Hinwendung zu einem „modernen Europa“ gelungen, dessen Liberalität keinen Platz mehr für solche nationalen Relikte lässt. (6)

Noch ist der Ausgang des politischen Konflikts nicht klar. Glaubt man der Kathimerini, verfolgt die Nea Dimokratia die schon mehrfach beobachtbare Taktik, zunächst einen scharfen Entwurf vorzulegen, und dann angesichts des Umfangs des reagierenden Protests mehr oder weniger zurück zu rudern. Chrysochoidis sagt dazu, die Regierung strebe einen breiteren Konsens über die Abstimmung an, würde aber „wenn nötig, alleine weitermachen“. (7) Bei der KKE dürfte die Regierung nicht mit Entgegenkommen rechnen, hat doch das Politbüro des ZKs gerade erklärt: „Die KKE ruft zu einem massenhaften Aufstand der Bevölkerung auf, damit die Nea Dimokratia-Regierung ihren Gesetzesentwurf zurückzieht, der versucht, Rechte der Arbeiterbewegung abzuschaffen, für die Ströme von Blut geflossen sind.“ (7) Hinsichtlich KINAL, der ehemaligen PASOK, könnte die Taktik aufgehen. Zumindest wird gerade (07.07.) berichtet, dass der Minister jetzt Veränderungsvorschläge vorgelegt hat, die die Schärfe des Gesetzes abmildern, z.B. wird die Strafandrohung für die bloße Teilnahme an einer verbotenen Demonstration zurückgenommen. „Es scheint, dass die oben genannten Änderungen die Unterstützung der Gesetzesvorlage durch KINAL sicherstellen, da diese Änderungen auf Vorschlag der Partei von Fofi Gennimata erfolgten.“ (8).

Für heute 07.07. um 19:00 wird von vielen Organisationen mit dem Plakat oben zu einem Protestmarsch bei den Propyläen aufgerufen. (9) Auf dem Plakat heißt es:
Die Verbote werden auf der Straße durchbrochen
Demonstrationsfreiheit – Nein zur politischen Justiz – Gegen den Polizeistaat

Quellen / Anmerkungen:

  1. https://thepressproject.gr/to-pio-epikindyno-nomoschedio-tis-metapolitefsis/
  2. https://www.efsyn.gr/politiki/249097_hrysohoidis-i-hoynta-den-teleiose-1974
  3. https://www.ekathimerini.com/254211/article/ekathimerini/news/bill-regulating-public-gatherings-submitted
  4. https://www.kathimerini.gr/1085461/opinion/epikairothta/politikh/h-xoynta-den-teleiwse
  5. https://thepressproject.gr/asfyktiki-periorismi-ke-gia-to-dikeoma-tis-synathrisis/
  6. Wer noch einmal die Entwicklungen um das griechische Universitätsasyl nachlesen möchte, hat z.B. hier Gelegenheit dazu: https://diefreiheitsliebe.de/politik/48770/ , https://www.efsyn.gr/ellada/ekpaideysi/211604_panepistimiako-asylo-sykofantithike-enohopoiithike-katargithike
  7. https://www.kathimerini.gr/1085338/article/epikairothta/politikh/antidraseis-gia-tis-diadhlwseis-me-anoikto-to-kentro
  8. https://thepressproject.gr/ypochorisis-chrysochoidi-ke-aferesi-tou-idionymou-sto-nomoschedio-gia-ton-periorismo-ton-diadiloseon/ Fofi Gennimata ist Vorsitzende von KINAL
  9. https://thepressproject.gr/apagorefsi-diadiloseon-oute-na-to-skefteste/
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