Corona: Arbeitskämpfe + EU-Gelder

Klar wird nur die Absicht benannt, diejenigen Länder stärker zu unterstützen, die stärker unter den Corona-Pandemie leiden müssen. So sollen Italien und Spanien die meiste Unterstützung erhalten. Für Griechenland berichten die meisten griechischen Medien, dass das Land beim vorliegenden Modell insgesamt 33,4 Mrd. Euro als Zuschuss und ca. 10,1 Mrd. Euro als Kredit erhalten soll. (1) Mehr als 90% der Zahlungen aus der EU sollen für öffentliche Investitionen verwendet werden. Sollten die Pläne umgesetzt werden, erhält Griechenland, das zwar medizinisch bislang relativ gut durch die Krise gekommen ist, für das aber der größte wirtschaftliche Einbruch aller EU-Staaten prognostiziert wird, einen höheren Anteil der EU-Gelder als seinem BIP entspricht. (2) Die Statistiken weisen aus, dass Griechenland zwar nur einen Anteil von 1,3% am BIP der EU erwirtschaftet, die Unterstützung über 43,4 Mrd. Euro aber 5,8% des gesamten Sanierungsfonds ausmachen. Die Zuschüsse über 33,4 Mrd. Euro machen 17,8 % des griechischen BIP aus und damit sind die Unterstützungszahlungen an Griechenland gemessen an der absoluten Höhe seines BIP mit die höchsten in der EU. Berechnet man das allerdings auf das BIP pro Kopf der Bevölkerung, bekommt z.B. Polen mehr als Griechenland.

Die Beurteilung des EU-Plans folgt politischen Ausrichtungen. Ministerpräsident Mitsotakis begrüßt ihn ohne Einschränkungen: „Griechenland wird eines der Länder sein, die davon erheblich profitieren werden. Was die Europäische Kommission vorschlägt, ist nicht nur für Griechenland positiv, sondern für das gesamte europäische Projekt…. Ich glaube, dass das, was die Europäische Kommission vorschlägt, großartig ist, genau wie das, was die EZB getan hat.“ SYRIZA und auch Ef.Syn begrüßen das Programm verhaltener, Tsakalotos mit den Worten: „SYRIZA feiert den Vorschlag der Europäischen Kommission nicht, erkennt aber gleichzeitig seine positiven Punkte und Grauzonen an und betrachtet dies als positive Überraschung.“ (3). Dabei verweist er darauf, dass die genauen Regularien und Prozesse noch nicht detailliert vorliegen. Auch Ef.Syn spricht von „positiver Überraschung“ und hebt hervor, dass damit erstmalig ein Einstieg in gemeinsame Schulden gelungen sei. „Es stellen sich zwei entscheidende Fragen: Welche Bedingungen werden die Mittel begleiten, die in die Länder fließen, und wofür werden die Gelder verwendet?“ Der Text schließt mit der Forderung an Mitsotakis: „Es ist in der Tat eine Menge Geld, Herr Premierminister, für eine Gesellschaft, die durchs Feuer gegangen ist und von einem neuen Untergang bedroht ist. Und es ist eine Frage des Überlebens, sofort, kühn, gerecht, klug, produktiv zu sein, vor allem zugunsten der Beschäftigung und nicht für die Aufrechterhaltung der parasitären Eliten und der Versorgung der Leitungsebenen.“ (4)

Varoufakis hingegen kritisiert beide für ihre positiven Beurteilungen. Er wiederholt seine Erwartungen eines weiteren Memorandums und sieht in den geplanten Maßnahmen nur Augenwischerei für die vorangetriebenen Austeritätsmaßnahmen. (5) Dazu verweist er einerseits darauf, dass in den angekündigten 33,4 Mrd. an Zuschüssen in Wirklichkeit nur 22,5 Mrd. an tatsächlichen Hilfen enthalten seien, ohne aber diese Differenz im Detail aufzuschlüsseln. Von diesen 22,5 Mrd. seien zudem griechische Eigenleistungen für die Hilfe abzuziehen und vor allem die 9,8 Mrd. Euro, die Griechenland zur Schuldentilgung 2020 an die Troika zu zahlen habe. So kommt er auf nur 3,6 Mrd. Euro an jährlichen Hilfen in den Jahren 2021-2024. Zudem müsse Griechenland seinen Zahlungsverpflichtungen aus den bisherigen Memoranden auch in den kommenden Jahren weiterhin nachkommen.

Während der Fraport-Konzern schon Ende April angekündigt hat, dass er seinen Zahlungsverpflichtungen aus dem Flughafen-Überlassungsvertrag der 14 Flughäfen aufgrund „höherer Gewalt“ nicht nachkommen könne (44 Mio. Euro Konzessionsgebühren + variabler Anteil am Gewinn (6)), lässt sich anhand der bereits angelaufenen Maßnahmen der EU erahnen, wie die „Unterstützung“ beim Wiederaufbau der Wirtschaft aussehen könnte. Mit dem Programm SURE wurden nach einer Übereinkunft der EU-Finanzminister am 9. April 2020 Kredite von insgesamt 100 Mrd. Euro aufgelegt. Die Mitgliedsländer können in diesem Rahmen zu günstigen Bedingungen Unterstützung bei der Beschäftigungssicherung erhalten, insbesondere wenn Beschäftigte befristet freigesetzt werden.

Dies wird in Absprache zwischen dem Unternehmerverband SEV und der Regierung in Griechenland dazu genutzt, die bereits in der letzten Krise extrem prekär entwickelten Arbeitsverhältnisse angesichts zahlreicher Arbeitsplatzverluste weiter zu „flexibilisieren“. Dies erfolgt vor dem Hintergrund durch die Corona-Maßnahmen erneut gestiegener Arbeitslosigkeit. Im April erhöhten sich die Arbeitslosenzahlen im Verhältnis zum Vorjahresmonat um mehr als 200.000, also um knapp 22%; gegenüber dem Vormonat März stieg die Arbeitslosigkeit um 4,7%. Der Unternehmerverband erwartet über das ganze Jahr 2020 einen Beschäftigungsrückgang von 155.000 oder 3,7%. Deshalb solle der griechische Staat das SURE-Programm zur Abfederung nutzen. Verlangt werden „eine modernisierte und flexible Administration sowie öffentliche Investitionen, die die Infrastruktur und Fertigkeiten im digitalen Zeitalter stärken. (7)

Das Programm soll jetzt so umgesetzt werden, dass für Unternehmen eine Art „Kurzarbeitergeld light“ auf der Basis zurück zu zahlender Kredite eingerichtet wurde (im Unterschied zu Deutschland). Wird in Unternehmen aufgrund der Krise die Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte um bis zu 50% gesenkt, übernimmt der Staat 60% der entsprechenden Lohnkosten, derzeit befristet bis Oktober. Während dieser Zeit darf das Unternehmen den Beschäftigten aber nicht entlassen. Gewerkschaften beklagen, dass dieser Schutz vor Entlassung aber nur gilt, wenn und solange die jeweiligen Beschäftigten mit Arbeitszeitverkürzung und Lohnsenkung einverstanden sind. Das Programm gilt eingeschränkt auch für Teilzeitbeschäftigte, wenn etwa das Unternehmen auf staatliche Anweisung hin geschlossen wurde. ThePressProject berichtet, dass die Unternehmen zunächst vermutet hatten, dass ein Entlassungsverbot bis zur Rückzahlung des Darlehens umgesetzt werden sollte. Anscheinend haben viele Unternehmen deshalb nicht am Programm teilnehmen wollen und nun ist von der Klausel keine Rede mehr. Ef.Syn sieht in der Streichung dieser Klausel ein kommendes „Arbeits-Inferno“ und einen staatlichen Zuschuss für Massenentlassungen. SYRIZA kritisiert an dem Konzept, dass es sich um eine „Privatisierung von Gewinnen und Sozialisierung von Kosten und Verlusten“ handele. (8)

Beschäftigte gehen mit Demonstrationen gegen die beschlossenen Gesetze zum „Wiederaufbau“ vor. Unter der Parole „Wir wollen Arbeit, keine Arbeitslosigkeit“, versammelten sich vor wenigen Tagen vor allem Beschäftigte des Tourismus-Sektors und des Athener Flughafens vor dem Arbeitsministerium, um gegen die neuen Gesetze und ihre miserablen Arbeitsbedingungen zu protestieren. Ein Gewerkschaftsvertreter der Beschäftigten im Nahrungsmittel- und Tourismusbereich erklärte, die neuen Maßnahmen enthielten nicht eine einzige positive Maßnahme für die Arbeiter in der Branche, es handele sich um im wörtlichen Sinne Maßnahmen gegen die Arbeit. (9)

Quellen / Anmerkungen:
(1) https://www.euractiv.gr/section/oikonomia/news/43-5-dis-eyro-epipleon-gia-tin-ellada-apo-to-tameio-anakampsis-i-analysi-tis-komision/ , https://thepressproject.gr/me-pagides-neon-oron-litotitas-to-tamio-anakampsis-ypsous-750-dis-tis-komision/ Einer deutschen Statistik zufolge sollen 22,6 Mrd. Euro an Zuschüssen gezahlt werden – damit liegt Griechenland nach Deutschland auf Rang 6 in der EU: https://de.statista.com/infografik/21853/geplante-corona-zuschuesse-der-eu/
(2) Für Griechenland wird ein Rückgang von 9,75% der Wirtschaftsleistung erwartet – im Gegensatz etwa zu Polen mit einem Minus von 4,25%. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/corona-eurozone-rezession-101.html
(3) http://www.avgi.gr/article/10842/11125080/eu-tsakalotos-oso-kalytere-e-protase-tes-komision-toso-adynatizei-e-these-tes-nd-gia-to-emprosthobares-programma-video-
(4) https://www.efsyn.gr/node/245349
(5) https://mera25.gr/i-apantisi-tou-mera25-sto-kafto-erotima-tis-imeras-tha-mas-stiloun-ontos-32-dis/
(6) https://thepressproject.gr/elafrynsis-zitoun-fraport-ke-diethnis-aerolimenas-athinon/
(7) https://www.ekathimerini.com/252928/article/ekathimerini/business/hundreds-of-thousands-of-jobs-set-to-go / https://www.ekathimerini.com/252692/article/ekathimerini/business/industrialists-call-for-flexibility
(8) https://www.efsyn.gr/oikonomia/elliniki-oikonomia/245646_syn-ergasia-epidotisis-apolyseon
https://thepressproject.gr/dania-me-kratiki-engyisi-alla-choris-engyisi-ton-theseon-ergasias-apo-tin-kyvernisi/
https://www.efsyn.gr/politiki/i-apopsi-tis-efsyn/245659_epidotontas-ena-ergasiako-olokaytoma
(9) https://www.keeptalkinggreece.com/2020/05/28/greece-tourism-workers-protest-teargas/

Dieser Beitrag wurde unter Arbeitsverhältnisse, Europäische Union, Ralf Kliches Beiträge veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Corona: Arbeitskämpfe + EU-Gelder

  1. kokkinos vrachos schreibt:

    Blog: Nachdenken über Griechenland
    An dieser Stelle berichtet unser Redakteur Niels Kadritzke regelmäßig über die Ursachen und sozialen Folgen der griechischen Schuldenkrise.
    https://monde-diplomatique.de/blog-nachdenken-ueber-griechenland

    kalo mina, kv

    Like

Hinterlasse einen Kommentar