
Von Ralf Kliche
Wassilis Aswestopoulos hat gerade eine Analyse der aktuellen Kabinettsumbildung in Griechenland vorgelegt, die er als Rechtsruck interpretiert. Darin kommt er auch auf Makis Voridis zu sprechen, dem er angesichts von dessen Wechsel vom Agrar- zum Innenminister eine Historie als „Anhänger der gestürzten Militärjunta“ attestiert. (1)
Da gerade an diesem Wochenende das Foto oben neu in den griechischen Medien auftauchte (s.o.) und die Karriere des neuen Innenministers so wieder ins öffentliche Interesse rückte, soll hier kurz dessen politischer Werdegang skizziert werden. (2) Er ist eindrucksvoller, als es die Darstellung bei Aswestopoulos ahnen lässt, und legt zugleich exemplarisch Zeugnis ab, wie eng in Griechenland die rechten Traditionslinien der vergangenen Jahrzehnte untereinander (und mit den ökonomischen Eliten des Landes) verbandelt sind.
Makis Voridis, geboren 1964 in Athen, ist nach seinem Jura-Studium in London in Griechenland erstmals 1985 politisch in Erscheinung getreten, also mit 21 Jahren. (3) Damals übernahm er den Vorsitz in der Jugendorganisation der Partei EPEN (Εθνική Πολιτική Ένωσις, Nationale Politische Union) – bis 1990. Sein Vorgänger auf dieser Position war Nikolaos Michaloliakos, im letzten Jahr verurteilter Vorsitzender der faschistischen Chrysi Avgi, die dieser nach seinem Austritt aus EPEN gründete. EPEN war 1984 von Georgios Papadopoulos, dem Anführer des Militärputsches vom April 1967 und Führer des siebenjährigen Obristenregimes, aus dem Gefängnis heraus gegründet worden. Auch wenn Papadopoulos den Vorsitz schnell wieder abgab, weil die Verbindung der Partei mit seinem Namen dem Wahlerfolg eher abträglich war, so blieb doch die Entlassung der verurteilten Militärs aus dem Gefängnis – neben der Wiedereinführung der Monarchie – ein wichtiges Ziel von EPEN. Parlamentarisch konnte EPEN in Griechenland keine Erfolge erzielen, sie blieb immer unter der 3%-Hürde und zog nie ins Parlament ein.
Der mangelnde Erfolg beendete die politische Karriere von Voridis nicht. Wohl aus der Überzeugung heraus, dass es einer Erneuerung rechtsradikaler Ideologien bedürfe, gründete er 1994 seine eigene Partei Elliniko Metopo (Ελληνικό Μέτωπο, Griechische Front), Wikipedia zufolge nach dem Modell des französischen Front National – zu dieser Zeit noch unter dem Vorsitz von Jean Marie Le Pen (dem Vater), zu dem es anscheinend auch persönliche Kontakte gab.(4) Ausdruck der engen Verbindungen zu anderen rechtsradikalen Parteien Europas war die „Europäische Nationalistische Konferenz“, die die Elliniko Metopo (Griechische Front) 1997 organisierte und ausrichtete – unter Teilnahme von Organisationen wie z.B. Front National und Flämischer Block. Seit dieser Zeit werden auch Voridis explizit antisemitische Einstellungen nachgesagt.
Die parlamentarischen Bemühungen auch dieser Partei waren letztlich nicht erfolgreich, Voridis selbst scheiterte zweimal mit seinen Bewerbungen um die Wahl als Athener Bürgermeister (1998 und 2002). Bei den Parlamentswahlen 2000 und 2004 blieb die Partei immer unter 0,2%. Ein Grund für das schlechte Abschneiden von Elliniko Metopo kann in der Konkurrenz innerhalb des zersplitterten rechten Lagers gesehen werden. In seiner Broschüre „Neonazistische Mobilmachung in der Krise“ beschreibt Dimitris Psarras noch einen anderen Grund: „Obwohl die Entwicklungen in Griechenland inzwischen für die Entstehung und Etablierung einer rechtsextremen Partei sprachen, sollte es noch bis zum Jahre 2000 dauern, bis sich eine davon dauerhaft im politischen System behaupten konnte. Der Grund dafür ist: Die in der Wählerschaft vorhandenen rechten Tendenzen fanden zunächst Aufnahme in den beiden großen Parteien, die die Herausbildung und sichtbare Präsenz von nationalistischen und rassistischen Flügeln als Preis betrachteten, den sie als Volksparteien und Sammlungsbewegungen zu zahlen hatten.“ (5)
Als dann Georgios Karatzaferis im Jahr 2000 seine Partei LAOS (Λαϊκός Ορθόδοξος Συναγερμός, Völkische Orthodoxe Sammlungsbewegung) gründete, begannen der Aufstieg und auch der zunehmende parlamentarische Erfolg der rechten Sammlungsbewegung, die sich nach außen stärker als Partei der rechten Mitte darstellte. Bei den Regionalwahlen 2002 kam sie auf beachtliche 13,6% der Stimmen. Karatzaferis war als langjähriges Mitglied der Nea Dimokratia und Parlamentsabgeordneter 2000 aus der Partei geworfen worden, konnte sich aber über seine vielfältigen Kontakte in der ND eine Lizenz beim entstehenden Privatfernsehen sichern. Der auch über medialen Einfluss befeuerte Erfolg von LAOS war auch für Voridis attraktiv. Angesichts eigener Erfolglosigkeit löste sich deshalb Elliniko Metopo 2005 auf und schloss sich unter Führung von Voridis LAOS an. 2007 wurde dann LAOS mit 3,8% erstmals ins griechische Parlament gewählt. Ihren größten Einfluss gewann die Partei, als sie es im Zeichen der beginnenden Krise zum Koalitionspartner in eine gemeinsame Regierung mit Nea Dimokratia und PASOK schaffte (November 2011 – Mai 2012). Regierungschef war damals Lukas Papadimos, seine Regierung wurde im westlichen Europa als „Expertenregierung“ mit Wohlwollen betrachtet.
Für Voridis persönlich war die Entwicklung nicht so erfolgreich verlaufen. Zwar war er 2007 erstmals über LAOS ins griechische Parlament gewählt worden, aber dann tauchte 2010 das „Foto mit der Axt“ auf. Es zeigte Voridis 1985, also in seiner EPEN-Zeit, wo er als Studentenvertreter mit einer offen getragenen Axt in Exarchia Patrouille gegen linke Demonstranten ging. Auch wenn Voridis selbst das als Jugendsünde herunterspielen wollte, sein Parteichef verhinderte deshalb seine Kandidatur zum Bezirksgouverneur für Attika.

Voridis selbst kommentierte die Vorgänge von damals so: „Zu dieser Zeit war ich der Sekretär von EPEN. Das Foto wurde unter unseren Büros in der Akademias-Straße aufgenommen. Wir wurden von Anarchisten angegriffen, die gegen den Mord an Kalteza protestierten. … Unsere Büros wurden in Brand gesteckt und einer von uns wurde verprügelt. Wir, verängstigt nach dem Angriff, holen ihn bewaffnet ab. Ich akzeptiere, dass die Axt eine Waffe ist. Dass ich sie damals getragen habe, war illegal. Aber ich wollte mich verteidigen. Das war es. Was soll ich jetzt machen? Sie beurteilen das Foto ohne die damaligen Bedingungen zu berücksichtigen.“ (6)
Seiner weiteren Karriere schadete das Foto nicht, Voridis wurde Minister für Infrastruktur, Verkehr und Netzwerke in der Regierung Papadimos. Als dann mit dem Bruch der Regierungskoalition 2011 LAOS aus der Regierung ausschied, schied auch Voridis aus LAOS aus. Angesichts der Memoranden und ihrer Unbeliebtheit in der Bevölkerung gab es für den als „verantwortungsvollen Staatsmann“ auftretenden Karatzaferis keinen Platz mehr im politischen Spektrum Griechenlands. Spätestens bei den Wahlen 2012, die in der Koalition ND / PASOK / DIMAR zur Regierung Samaras führten, spielte LAOS keine Rolle mehr, sie fiel bei den Wahlen auf 1,6%.
Im Vorfeld der Wahlen ist Voridis hingegen auf seinem Karriereweg schon weiter geschritten: Gemeinsam mit Adonis Georgiadis wechselte er zur Nea Dimokratia und wurde dort gleich Fraktionsvorsitzender. Die nächste Position auf der Leiter war die Rolle des Gesundheitsministers im Kabinett Samaras, wo er bis zur Regierungsübernahme durch SYRIZA die weitgehende Zerstörung des öffentlichen Gesundheitssystems verantwortete.
Mitsotakis übernahm Voridis dann wieder im Juli 2019 in sein Kabinett – diesmal wurde Voridis Minister für landwirtschaftliche Entwicklung und Ernährung. Jetzt also sein Wechsel ins Innenministerium, wo er über noch größere Machtfülle verfügt. Vorgezogene Neuwahlen am Ende der Corona-Krise, worüber Gerüchten zufolge Mitsotakis nachdenkt, würden dann von Voridis organisiert werden.
In dieser Situation verfügt das jetzt bekannt gewordene Foto von oben über eine gewisse Brisanz. Es zeigt Voridis auf einer Demonstration am 1. Mai 2002 in Paris. Der Front National hatte die Tradition einer eigenen Mai-Demonstration begründet, um damit Johanna von Orleans zu ehren. Im Jahr 2002, so berichtet der Fotograf Makis Malafekas, hatte der Holocaust-Leugner Jean Marie Le Pen 100.000 Anhänger, Verbündete und Unterstützer auf die Pariser Straßen gebracht, auch angesichts der Stichwahl mit Jacques Chirac um die französische Präsidentschaft (die er schließlich verlor). Voridis, damals 38 Jahre alt und Vorsitzender von Elliniko Metopo nahm als Vertreter der griechischen Delegation an der Demonstration teil.
ThePressProject berichtet von dem Foto und fragt sich, ob die Aufnahme Voridis oder seine Partei in Erklärungsnot bringen dürfte, da der Verweis auf „jugendliche Fehler“ als Entschuldigung definitiv nicht mehr funktionieren dürfte. Man darf skeptisch sein.
Auf der offiziellen Liste, auf der die Mitglieder des griechischen Parlaments vorgestellt werden, setzt das politische Leben von Voridis jedenfalls erst 2007 ein. Dafür erfährt man von seiner militärischen Laufbahn: „Er leistete seinen Militärdienst in den Jahren 1992-1993 als Artilleriekapitän ab, war Leiter der 92. Trainingsgruppe an der Artillerieschule und wurde mit dem Rang eines Leutnants entlassen.“ (7)
Quellen / Anmerkungen:
- siehe hier und https://www.heise.de/tp/features/Kabinettsreform-in-Griechenland-Rechtsruck-5006176.html
- https://thepressproject.gr/ena-neofasistiko-kare-tou-voridi-choris-tsekouri/
- https://de.wikipedia.org/wiki/Makis_Voridis
- https://el.wikipedia.org/wiki/Ελληνικό_Μέτωπο
- Dimitris Psarras: Neonazistische Mobilmachung im Zuge der Krise. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Brüssel / Berlin 2013, S. 7, http://rosalux.gr/sites/default/files/publications/analysen_neonazistische_mobilmachung.pdf
- http://www.enet.gr/?i=news.el.article&id=226000, Michalis Kalteza war ein linker Student, dem auf einer Demonstration zum Jahrestag des Aufstands am Polytechnikum im Jahr 1985 auf dem Exarcheia-Platz von einem Polizisten in den Hinterkopf geschossen wurde und der daran verstarb.
- https://www.hellenicparliament.gr/Vouleftes/Ana-Koinovouleftiki-Omada/?MPId=4e2650b8-8089-4dc4-972c-616e412cd9db