Orbanisierung schreitet voran

Dieser Cartoon wurde für die Regierungs-Heuchelei in der Flüchtlings-Politik gezeichnet – die Heuchelei beim Überwachungs- Skandal trifft er genauso. Bild: Yorgos KonstantinouImagistan

Die Vertrauensabstimmung im Parlament ist vorbei. Zeitweise war die Körpersprache der Regierungsbank während der Rede von Tsipras deutlich: Die Mitsotakis-Minister fühlten sich ertappt. Was Tsipras im Parlament sagte, war nicht zu leugnen. Die kriminellen Handlungen der maßlosen illegalen Überwachung sind nicht mehr zu leugnen. Es gibt mittlerweile genügend Anhaltspunkte dafür, dass Mitsotakis so paranoid ist wie Richard Nixon es war. Kyriakosgate ähnelt dem Watergate-Skandal des US-Präsidenten in den 70er Jahren.
Mitsotakis ließ hunderte, wahrscheinlich tausende überwachen – um über alle zu wissen, was sie denken: Die höchsten Militärs, den Geheimdienstchef, Minister seiner Regierung, Oppositionspolitiker, Journalisten,usw.(1) Am Tag nach der Vertrauensabstimmung im Parlament wurde bekannt, dass die Predator-Software, die die volle Kontrolle über Handys übernimmt, auch auf den Mobiltelefonen der Schwester des Ministerpräsidenten, Dora Bakogiannis, sie war früher Außenminsterin, auf dem von seinem Neffen Kostas Bakogiannis, dem Bürgermeister von Athen, und auf dem seiner Nichte Alexia Bakogiannis gefunden wurde.(2)
In seiner Rede vor dem Parlament listete Tsipras die zehn Personen auf, von denen bereits eindeutig bewiesen ist, dass sie vom Geheimdienst überwacht wurden. Schon lange ist erzwungenermaßen auch von der Regierung zugegeben, dass der Vorsitzende der PASOK, Nikos Androulakis abgehört wurde. Ebenso verhält es sich bei den Journalisten Stavros Malichoudis und Thanasis Koukakis. „Malichoudis recherchiert und schreibt vor allem über illegale Pushback-Aktionen der griechischen Küstenwache in der Ostägäis, Koukakis berichtet (u.a. für CNN Greece und die Financial Times) über illegale oder unethische Praktiken in jener Grauzone, in der die vier systemischen Großbanken ihre Deals mit der Exekutive – und zuweilen mit der Justiz – aushandeln.“(3) Der Europaabgeordnete der Nea Dimokaratia Yorgos Kyrtsos wurde offensichtlich abgehört, weil er parteiintern Mitsotakis scharf kritisierte.(4)

Und es ist s e i n Geheimdienst. Sofort nach Amtsantritt unterstellte er den Geheimdienst direkt seinem Stab. Sein eigener Neffe, Grigoris Dimitriadis, leitete seinen Stab. Mitsotakis hat alles direkt unter seiner Kontrolle. Darum geht es wohl, um kontrollieren, um beherrschen zu können.
Der Neffe musste gehen, als der Skandal aufgedeckt wurde. Und der Minsterpräsident wiederholt gebetsmühlenartig, er selbst habe von nichts gewusst. Der Geheimdienst tue alles nur, um die „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ abzuwehren. Und Mitsotakis hindert alle Kontrollorgane daran, ihre verfassungsgemäße Arbeit zu tun, zu untersuchen, ob der Geheimdienst nicht doch andere Interessen verfolgt.

Mitsotakis hatte viele Themen in seiner Gegenrede während der Vertrauensdebatte. Zur Überwachung hatte er vor allem einen billigen rhetorischen Trick aufzuwarten. Er behauptete, der Brief des Präsidenten der Behörde für den Schutz der Privatsphäre und der Kommunikation, Christos Rammos, enthalte gar keine Namen, also würde Tsipras lügen, wenn er sage, diese sechs Personen seien abgehört worden. Tatsächlich sind die Namen der sechs nicht im Brief von Rammos enthalten. Das ist aber auch nicht nötig, weil der Brief von Rammos die Antwort auf die schriftliche Anfrage von Tsipras ist, ob diese sechs überwacht wurden. Im Brief von Tsipras sind die Namen genannt. Rammos bejaht in seinem Anwortbrief die Frage für alle sechs, ohne ihre Namen noch einmal aufzulisten. Die Mainstream-Presse Griechenlands stellt dies so dar als ob Mitsotakis Tsipras durch dieses „Argument“ entlarvt habe. Tatsächlich sind die große Mehrzahl der Medien, die ja nur wenigen Oligarchen gehören, elementarer Teil des Mitsotakis-Systems.

Die Abgeordneten der Nea Dimokratia sprachen Mitsotakis ihr Vertrauen aus. Aber nicht, weil sie ihn für unschuldig halten, sondern weil sie ihre Macht und ihre Pfründe verlieren würden, wenn Mitsotakis gestürzt werden würde. Der Misstrauensantrag scheiterte, aber die politische Auseinandersetzung um den Überwachungsskandal geht weiter.

Anmerkungen

(1) Siehe dazu den Absatz „Überraschende Abhöropfer“ des Artikels von Niels Kadritzke Predator über Griechenland:
„Am 6. November publizierte die Wochenzeitung Documento eine Liste von 33 Personen, die der griechische Geheimdienst mittels der Predator-Spyware abgehört haben soll. Auf der Liste stehen – wenig überraschend – regierungskritische journalistsche Stimmen, ehemalige Minister der Regierung Tsipras und die aktuelle Syriza-Fraktionsvorsitzende, doch überraschenderweise auch prominente Namen aus dem Regierungslager. Dazu gehörten:

  • fünf Minister bzw. Vizeminister der Mitsotakis-Regierung, von denen Außenminister Dendias der prominenteste ist;
  • drei ehemalige Minister bzw. Ministerinnen unter Mitsotakis;
  • Ex-Ministerpräsident Antonis Samaras, Minister früherer ND-Regierungen und aktuell Parlamentsabgeordneter;
  • Medienschaffende von ND-freundlichen TV-Sendern und Printmedien.

Zu der letzten Gruppe gehört der Kathimerini-Chefredakteur Alexis Papachelas, der im Athener Establishment vorzüglich vernetzt ist und deshalb eine Top-Quelle auch für Interna aus der Nea Dimokratia darstellt. Wie er fallen etliche Personen, deren Namen auf der Predator-Liste stehen, unter die Kategorie „Sekundärquelle“, über die indirekt Informationen über andere abgeschöpft werden sollen. Das gilt ganz sicher für Kontaktpersonen des Reeders Marinakis, der als Eigentümer einer Verlagsgruppe (mit den Traditionszeitungen Ta Nea und To Vima) und Teilhaber eines TV-Senders über erhebliche Medienmacht verfügt. Sekundärziel waren auch die Telefone der Ehefrauen von ND-Politikern, die der Predator in vier Fällen angezapft hat.

Zwei weitere Listen, die seitdem von Documento veröffentlicht wurden (am 12. und am 19. November) bestätigen die politische Stoßrichtung der Lauschangriffe. Im Bereich Medien sind insgesamt 13 Journalistinnen und Journalisten betroffen. Was die Kreise der Regierungspartei betrifft, so galten die Predator-Attacken vornehmlich ND-Protagonisten, die aus Sicht der Villa Maximos nicht zuverlässig oder nicht voll berechenbar sind; etwa weil sie innerparteiliche Gegenspieler – wie Kostas Karamanlis oder Antonis Samaras – unterstützt haben oder noch unterstützen.(30)“

(2) https://www.efsyn.gr/politiki/kybernisi/376340_parakoloythoysan-akoma-kai-toys-ntora-kosta-kai-alexia-mpakogianni

(3) Niels Kadritzke Predator über Griechenland

(4) Mittlerweile hat Mitsaotakis ihn aus der Partei herausgeschmissen.

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