Hellas: Spitzenreiter bei Menschenrechtsverletzungen

Bild: Yorgos Konstantinou/ Imagistan

Von Dina Daskalopoulou, efsyn 12.03.2022:
„Spitzenreiter bei Menschenrechtsverletzungen
Griechenland ist trauriger Spitzenreiter bei den Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Die Situation in den Gefängnissen, die Polizeigewalt, die Meinungsfreiheit und die Haftbedingungen von Einwanderern sind die Themen. Der griechische Richter des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Ioannis Ktistakis, stellt fest, dass das Land nicht in der Lage ist, den Straßburger Urteilen rechtzeitig und umfassend nachzukommen.
Griechenland verstößt gegen die Menschenrechte und wird dafür verurteilt aber es hält sich nicht an die Verurteilungen und korrigiert die Dinge nicht und zahlt stattdessen Geldstrafen – das ist, in einfachen Worten, das entmutigende Bild Griechenlands anhand der Daten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Die beklagenswerten Haftbedingungen in den Gefängnissen, die Verwaltung, die sich nicht an die Gerichtsentscheidungen hält, die Polizeigewalt, die Verletzung der Meinungsfreiheit und der Eigentumsrechte: das sind die Bereiche, die Griechenland unter den 47 Vertragsstaaten des EGMR in Bezug auf die anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in die – erbärmlichen – Top Ten bringen – die anderen 37 Vertragsstaaten haben insgesamt 8.300, Griechenland allein 2.214!
Das Land hat seit 1991 984 Verurteilungen und nur 44 Freisprüche zu verzeichnen. Die Zahlen wurden dem Ständigen Sonderausschuss für die Überwachung von Urteilen des EGMR von dem griechischen Richter am EGMR, Ioannis Ktistakis, vorgelegt.

Die derzeit anhängigen Anträge aus Griechenland machen mehr als 3 % der insgesamt 70.150 anhängigen Anträge aus den 47 Staaten aus. Davon beziehen sich 1.782 (81 %) ausschließlich auf die Haftbedingungen in den Gefängnissen und 432 auf fast alle Artikel der Europäischen Konvention – wie der Richter feststellte, „ragen diejenigen heraus, die sich auf die Nichteinhaltung nationaler Gerichtsentscheidungen durch die Verwaltung, polizeiliche Gewalt, Meinungsfreiheit und Eigentumsrechte beziehen“.

Seit 13 Jahren sind in Griechenland sechs große Gruppen von Urteilen anhängig: die Haftbedingungen in Gefängnissen, das Verhalten von Polizeibeamten, die Fragen von Minderheitenverbänden, die Meinungsfreiheit und die Durchsetzung von Entscheidungen der nationalen Verwaltungsgerichte, des Staatsrats (höchsten Gerichts), der unteren Verwaltungsgerichte (denen die Verwaltung nicht nachkommt) und die Haftbedingungen von Migranten.

Wie er bei seiner Unterrichtung des Parlaments erklärte, bezog er sich auf das Jahrzehnt 2011-2021, da die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften durch die Staaten in den 2000er Jahren weniger aussagekräftig war als in den letzten zehn Jahren, in denen es eine koordinierte Überwachung durch alle Institutionen des Europarats gibt.

„Besonders besorgniserregend im Falle Griechenlands ist jedoch seine Unfähigkeit, die Dinge zu korrigieren und den Straßburger Urteilen rechtzeitig und umfassend nachzukommen“, so der EGMR-Richter.

Laut Herrn Ktistaki „ist das Element, das Griechenland wirklich auf den letzten Platz unter den westeuropäischen Staaten bringt, seine mehr als zehnjährige Unfähigkeit, den Urteilen nachzukommen und die Brutstätten zu beseitigen, die die Menschenrechtsverletzungen vervielfachen und natürlich jedes Jahr die Zahl der anhängigen Berufungen vervielfachen, weil das gleiche Thema mit neuen Berufungen, wiederkehrt“.

∎ 2.214 anhängige Einzelklagen gegen Griechenland
∎ 1.782 (81%) Beschwerden über die Haftbedingungen in Strafvollzugsanstalten
∎ 432 wegen Nichteinhaltung nationaler Gerichtsurteile durch die Verwaltung, Polizeigewalt, Meinungsfreiheit und Eigentumsrechten
∎ 984 Verurteilungen und 44 Freisprüche seit 1991
∎ 28.256.237 Euro allein in der Dekade 2011-2021 für vom Europäischen Gerichtshof zugesprochenen Schadenersatz

Als Vergleichsmaßstab: Belgien

Unter den zehn Ländern mit den meisten anhängigen Einzelklagen befinden sich zwei westeuropäische Länder, Italien und Griechenland, und acht osteuropäische Länder. Wie der griechische Richter des EGMR die Daten ausführte, sollte der Maßstab für den Fortschritt und das Zurückbleiben Belgien sein, da „es dieses westeuropäische Land ein Mitglied der Europäischen Union ist, das ungefähr die gleiche Bevölkerungszahl wie Griechenland hat, vor rund 190 Jahren seine Revolution erlebte, seine Unabhängigkeit und seine erste Verfassung erlangte und zusammen mit Griechenland die meisten Parlamentswahlen aller europäischen Länder hat. Vergleiche Griechenlands mit den Balkanländern, der Türkei oder den osteuropäischen Ländern sind daher seines Erachtens unergiebig, wenn nicht gar irreführend. Dies geht aus den vom Richter dem Parlament vorgelegten Beweisen hervor:

● Belgien hat seit 1991 nur 285 Verurteilungen gegenüber 948 in Griechenland.
● In Belgien sind 234 Berufungen anhängig, in Griechenland sind es 2.214.
● Belgien hat 1.745.909 € für Schadensersatz gezahlt, den der Europäische Gerichtshof in den Jahren 2011 bis 2021 zugesprochen hat, während Griechenland 28.256.237 € gezahlt hat.

Warum sind die Zahlen für Belgien so niedrig? „Ich denke, die Antwort liegt in der hohen Befolgungsrate der Straßburger Urteile in Belgien“, sagte Ktistaki.

„Es ist nicht die Schuld der Anwälte“

„Sind Sie mit all den Daten, die Sie uns gegeben haben, zu dem Schluss gekommen, dass wir das prozessfreudigste Volk in Europa sind? Denn Sie haben uns sehr schöne Zahlen in Form von Prozentsätzen im Vergleich zu anderen Ländern genannt, insbesondere zu Belgien, von dem Sie zu Recht sagten, dass wir es vergleichen können“, fragte der ND-Abgeordnete Theo Roussopoulos Herrn Ktistaki provokativ.

„in de Tat gibt es ein Dilemma in Griechenland. Wenn das Problem immer noch dasselbe ist und die Anwälte und Antragsteller wissen, dass es eine Verurteilung aus Straßburg gibt und trotzdem das Problem nicht gelöst wird, nennen wir das dann Dilemma? Vielleicht nennen wir es so“, antwortete er.

„Sind die Anwälte schuld? Anwälte sind nicht schuld, genauso wenig wie Ärzte schuld sind, wenn sie ein Thema aufgreifen. Es ist das Thema selbst, das die Schuld trägt. Wenn die Angelegenheit dort verbleibt und den oben genannten Akteuren ständig Probleme bereitet, machen es die Anwälte den Akteuren leichter. Es geht nicht darum, dass sie einen Arbeitsplatz suchen. Wenn das Problem nicht mehr bestehen würde, gäbe es weder für die Anwälte noch für den Europäischen Gerichtshof noch für irgendjemanden einen Grund zu klagen.“

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