Kriegszustand

Dieses Foto, das ein Arzt aufnahm, wurde zum Symbol der katastrophalen Situation

Von Ralf Kliche
Mitte März ist vorbei und in Griechenland wächst die dritte Corona-Welle weiter. Angesichts einer sich immer weiter verschlechternden Versorgung der Erkrankten im Gesundheitssystem – insbesondere in den Krankenhäusern des Großraums Athen – spricht Oppositionsführer Tsipras inzwischen von Bildern eines „Kriegszustandes“. Bereits im Februar wurde festgestellt, dass 90% aller für Covid-Patienten reservierten Intensivbetten belegt seien: 235 von 262 vorhandenen Betten. Seitdem ist die Anzahl der mit Covid-19 ins Krankenhaus eingewiesenen Personen weiter gewachsen. In der Zeit vom 15.03. bis zum 20.03. mussten in ganz Griechenland 108 zusätzliche Patienten intubiert werden, die Gesamtzahl beläuft sich derzeit auf 672, die Zahl der neu zu Intubierenden wuchs dabei täglich. (1) Die Prognose eines Arztes spricht von zusätzlichen 3.000 Toten nur im nächsten Monat, wenn die Situation in den Krankenhäusern nicht sofort deutlich verbessert wird. Zumindest in den nächsten zwei Wochen muss in jedem Fall mit einem weiteren deutlichen Wachstum bei Infektionen und Todesfällen gerechnet werden.
So ist es nicht verwunderlich, dass inzwischen weit mehr Patienten intensivmedizinisch betreut werden müssen, als Intensivbetten verfügbar sind. Am 22.03. gab es nach Informationen der Mitarbeitervertretung an öffentlichen Krankenhäusern POEDIN 125 Patienten auf der Warteliste für Intensivbetten, die so lange in normalen Krankenzimmern untergebracht und zum Teil auch beatmet werden, bis (vielleicht) ein Intensiv-Platz verfügbar ist. (2) Diese Situation, in der Ärzte entscheiden müssen, wer ein frei werdendes Intensiv-Bett bekommen soll, kann als Triage bezeichnet werden. Michalis Giannakos, der Vorsitzende von POEDIN, erklärt, dass „jedes der jeweils diensthabenden Krankenhäuser in Attika täglich zwei neue Patienten mit Covid-19 aufnehmen muss“. (3) Das beeinträchtige die Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser und erhöhe auch Mortalität und Morbidität aufgrund anderer Krankheiten. Weiter führt er aus: „Die Krankenwagen, die an Militärfahrzeuge zu Kriegszeiten erinnern, … zeigen den Zusammenbruch der Grundversorgung und die Schwierigkeit der Aufnahme in Krankenhäuser aufgrund von Platzmangel. Erkrankte bleiben ohne ärztliche Betreuung in ihren Häusern, und wenn es dann mit ihnen zu Ende geht, werden sie mit Krankenwagen in Krankenhäuser gebracht.“

Zudem verweist er auf die Situation psychisch Kranker in Covid-Kliniken, die praktisch nicht versorgt werden. Dabei spricht er wegen der mangelnden Infrastruktur und mangelnden Personals von einem „Friedhof für psychisch kranke Menschen mit dem Coronavirus“.

Angesichts der Dringlichkeit sofortiger Verbesserung der Lage in den Krankenhäusern ist es nicht verwunderlich, dass es in der öffentlichen Diskussion vor allem um zwei Themen geht, die Erhöhung der Intensivbettenzahl und die Beschaffung von zusätzlichem Personal.

Unstrittig ist, dass die Nea Dimokratia, ganz neoliberalen Vorstellungen folgend, das ohnehin schwache Gesundheitssystem Griechenlands bis zu Beginn der Corona-Krise weiter geschwächt hat. So hat z.B. Georgios Giannopoulos, Arzt und unter SYRIZA Staatssekretär im Gesundheitsministerium, vorgerechnet, dass die Zahl der festangestellten oder befristeten Mitarbeiter im Gesundheitssystem im Mai 2020 mit 95.352 ca. 5% unter den Zahlen im Vorjahresmonat waren. Bei den Festangestellten ging die Zahl in demselben Zeitraum von ca. 79.000 auf ca. 77.000 zurück. (4) Strittig ist, ob die Regierung nach Pandemiebeginn Maßnahmen zur Stärkung des Gesundheitsbereichs getroffen hat oder dies eher behinderte. Unstrittig ist dann wieder, dass ihre Aktivitäten nicht ausreichten, der zweiten Corona-Welle zum Jahresende zu begegnen.

In Griechenland gab es der Kathimerini zufolge im Juli 2019 557 Intensivbetten. (5) Im August 2020 gab es danach 901 Betten. Im November 2020 erklärte der Gesundheitsminister, dass es in ganz Griechenland 1.239 Intensivbetten gebe, von denen 687 für Covid-Patienten reserviert seien. (6) An dieser Aufstockung war der Staat nur durch die Bereitstellung von 50 Intensivbetten beteiligt, alle anderen wurden mit Mitteln aus privaten Stiftungen finanziert (z.B. Stavros Niarchos Foundation). Insofern ist durchaus etwas passiert, auch wenn Griechenland damit wesentlich schlechter ausgestattet ist als z.B. Deutschland, wo es mit rund achtmal so vielen Einwohnern fast 20 Mal so viele Intensivbetten gibt wie in Griechenland. Auch diese Zahlen der Regierung werden von Kritikern aber als Lüge bezeichnet, weil sie nicht die tatsächlich verfügbare Bettenzahl wiedergeben. Zum einen werden auch Betten dazu gerechnet, die keine vollwertigen Intensivbetten sind, z.B. weil dort nicht intubiert werden kann, zum anderen und vor allem haben die Kliniken aber kein Personal, um die Betten zu betreuen. Als realistische Zahl werden von den Kritikern 750–900 tatsächlich voll nutzbare Intensivbetten genannt, je nach Zählweise.

Da diese Zahlen angesichts der Pandemieentwicklung aber bei weitem nicht ausreichen, stellt sich die Frage nach den kurzfristigen Handlungsoptionen, und hier kommt der Umgang mit den Betten in den Privatkliniken ins Spiel. Es ist nämlich festzustellen, dass die im Land relativ stark ausgebauten und lukrativen Privatkliniken bislang so gut wie nicht in die Corona-Bekämpfung eingebunden sind. Ihr Interessenverband hat die Weigerung der Aufnahme von Corona-Patienten damit begründet, dass dort die erforderliche Infrastruktur und Ausbildung des Personals fehle. In Wahrheit dürften aber auch finanzielle Aspekte maßgeblich sein: Tatsächlich würde eine entsprechende Einbindung die satten Profite im privaten Medizin-Sektor schmälern. Die griechische Regierung hat die Argumentation der privaten Ärzte-Organisationen immer akzeptiert und sogar noch befördert, indem sie die Splittung der Krankenhausversorgung vorangetrieben hat: Während die öffentlichen Krankenhäuser für die Versorgung aller Covid-Fälle zuständig gemacht wurden, hat man die (oft profitableren) Nicht-Covid-Kranken oft an private Krankenhäuser verwiesen. Nur einmal, im November 2020 wich die Regierung von ihrer Linie ab, als es im Raum Thessaloniki zu so vielen Infektionen gekommen war, dass nicht mehr alle Patienten in öffentlichen Krankenhäusern behandelt werden konnten. Nachdem man dort vergeblich die 9 privaten Kliniken vor Ort angefleht hatte, Covid-Patienten aufzunehmen, wurden zwei Kliniken angewiesen, 200 Plätze für diesen Personenkreis zur Verfügung stellen.

Noch heftiger wird über die Lage beim Krankenhauspersonal gestritten, hier ist es noch einfacher, Nebelbomben gemäß der eigenen Interessen zu werfen. Im November machte das Gesundheitsministerium aus den Einstellungen eine Erfolgsgeschichte: Gesundheitsminister Kilkias erklärte, man habe in der Pandemie 7.000 Hilfskräfte (Ärzte / Pflegepersonal) eingestellt. Von diesen sollten 4.000 Pflegekräfte Festanstellungen erhalten. 300 neu eingestellte Intensivmediziner sollten feste Stellen erhalten. (4) Bis heute sind diese Einstellungen aber offensichtlich nicht erfolgt. In einer aktuellen Stellungnahme antwortete das Gesundheitsministerium auf die Frage, warum es keine Einstellungen von Fachärzten gegeben habe, schlicht, es habe keine Bewerbungen gegeben. Dem wurde sofort von Ärztevertretern widersprochen und auf eine zögerliche und widersprüchliche Ausschreibungspraxis verwiesen. (7) Hinzu kommt, dass die Ausschreibungen bis jetzt alle auf ein Jahr befristet waren und es für Bewerber immer unklar blieb, was später werden würde. Privaten Angaben zufolge wurden seit Regierungsantritt von Mitsotakis Mitte 2019 insgesamt nur 270 Mediziner fest angestellt – angesichts der Abgänge schon allein aus Altersgründen eine eher zu vernachlässigende Anzahl. Bei aller berechtigten Kritik an der Regierung sollte aber nicht vergessen werden, dass es auch SYRIZA nach ihrem Wahlsieg nicht gelungen war, ihren Einstellungsplan für Ärzte umzusetzen. Das mangelnde Interesse an einer ärztlichen Tätigkeit im öffentlichen Gesundheitswesen dürfte sicher auch an den eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten liegen – im Verhältnis zu einer Tätigkeit im privaten Gesundheitssektor oder einer Tätigkeit im Ausland.

Unabhängig von der langfristigen Einstellungsstrategie versucht die Regierung angesichts der aktuellen Entwicklungen, kurzfristig die Arztzahlen zu erhöhen und will mit einem Aufruf Privatärzte für die Covid-Patienten anlocken. Der Gesundheitsminister hatte am letzten Mittwoch an die privaten Ärzte appelliert, dass sich 200 von ihnen freiwillig für die Pandemie-Bekämpfung melden sollten. Als sich dazu bis gestern nur 50 Freiwillige gemeldet hatten, werden nun 206 Ärzte im Raum Attika zwangsrekrutiert. Dafür werden sie bezahlt und sie dürfen auch nach den Dienststunden ihre Privatpraxen weiter betreiben. Allerdings kann auch dies als Maßnahme für die Galerie angesehen werden, wenn berücksichtigt wird, dass die Zwangsverpflichtung nur für einen Monat gilt und die privaten Ärzte erst einmal in die Krankenhaus-Abläufe eingearbeitet werden müssen. Eine substanzielle Verbesserung der Lage ist dadurch nicht zu erwarten.

Nur das Impfen scheint in Griechenland besser zu klappen als z.B. in Deutschland, was allerdings auch nicht schwer ist. Stand 21.03. waren in Deutschland 8,6% der Bevölkerung einmal (3,9% zweimal) geimpft, während es in Griechenland 9,34% (4,4%) waren.

Quellen / Anmerkungen:

  1. https://www.keeptalkinggreece.com/2021/03/17/greece-athens-attica-hospitals-icu-patients/ , https://www.efsyn.gr/ellada/ygeia/286441_synehi-ta-arnitika-rekor-stis-diasolinoseis-alloi-60-thanatoi , https://www.efsyn.gr/ellada/ygeia/286499_ihira-kampanakia-gia-ektrohiasmo-toy-tritoy-kymatos
  2. https://www.efsyn.gr/node/286742
  3. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Notfallaufnahme in griechischen Krankenhäusern so funktioniert, dass reihum je nach Plan andere Krankenhäuser alle Notaufnahmen der Region übernehmen müssen.
  4. https://www.avgi.gr/arheio/362948_en-meso-pandimias-kai-lockdown-5000-ligoteroi-ergazomenoi-stin-ygeia
  5. https://www.kathimerini.gr/society/1092494/proslipseis-giatron-nosileyton-kai-nees-klines-meth-sto-esy/
  6. https://www.moh.gov.gr/articles/ministry/grafeio-typoy/press-releases/7986-b-kikilias-exoyme-ftasei-tis-1-239-klines-meth-to-e-s-y-exei-kseperasei-tis-dynatothtes-toy-kai-akoma-antexei
  7. https://www.documentonews.gr/article/%cf%84%ce%bf-%ce%b5%cf%83%cf%85-%cf%80%ce%b5%ce%b8%ce%b1%ce%af%ce%bd%ce%b5%ce%b9-%ce%ba%ce%b1%ce%b9-%ce%b7-%ce%ba%cf%85%ce%b2%ce%ad%cf%81%ce%bd%ce%b7%cf%83%ce%b7-%cf%83%cf%84%ce%bf%ce%bd/ ,
    https://thepressproject.gr/ektheto-to-ypourgeio-ygeias-gia-tous-giatrous-stis-listes-ton-epikourikon-kai-ti-mi-yparxi-tous/

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