Tsipras Versprechungen, Reparationen einzufordern

DistomoVon Ralf Kliche
Der hier vorgestellte Artikel der Deutschen Welle zum Merkel-Besuch in Griechenland hat den Titel: „Griechenland pocht bei Merkel-Besuch auf deutsche Reparationen“. Es geht aber hauptsächlich um Fragen der Flüchtlingspolitik und das Prespes-Abkommen. Zur Frage der griechischen Reparationsforderungen an Deutschland wird nur Staatspräsident Pavlopoulos zitiert, wonach Griechenland auf Entschädigungsforderungen bestehe. Diese könnten juristisch auf europäischer Ebene geklärt werden. Es gibt keine Informationen, inwieweit das Problem auch Gegenstand der Gespräche zwischen Tsipras und Merkel war und wie sich Tsipras dazu verhalten hat.
Die Position der deutschen Seite ist klar und dieselbe wie beim Steinmeier-Besuch im Oktober: viel Sprechen über Verantwortung, aber Geld gibt’s nicht. Die deutschen Medien hatten das auch im Vorfeld der Besuche von Steinmeier und Merkel deutlich gemacht; die griechischen Medien haben das aufgriffen und zitiert. (1)
Die Position der griechischen Seite ist nicht so klar: Im August 2016 war dem griechischen Parlament der Abschlussbericht einer parlamentarischen Kommission zum Umgang mit den Reparationsforderungen an Deutschland vorgelegt worden, federführend war Parlamentspräsident Nikos Voutsis von Syriza. (2) Der nächste Schritt wäre gewesen, den Bericht und die dort ermittelten Forderungen an Deutschland über 269,5 Mrd. Euro vom griechischen Parlament ratifizieren zu lassen. Im Anschluss wäre grundsätzlich der Weg frei zu einer Klage in Den Haag. Zu dieser Ratifizierung kam es aber nicht, der Bericht blieb in der Schublade. Tsipras und die Regierung argumentierten, dass angesichts der laufenden Memoranden Forderungen nach Reparationen nicht „vermischt“ werden sollten.

Dieses Hemmnis aus Regierungssicht ist mit dem offiziellen Ende der Memoranden im August 2018 weggefallen. In der Tat kündigte Tsipras etwa bei einem Besuch der Gedenkstätte für Opfer der deutschen Besatzung in Kandanos auf Kreta im September 2018 an, bis zum Jahresende 2018 den Bericht durchs griechische Parlament zu bringen: „Unser Land hat eine sehr lange Geschichte, es war ein Anführer im Kampf gegen den Nationalsozialismus, und dieser Kampf hat einen hohen Blutzoll gefordert. Lassen Sie uns das hier nicht vergessen. Und ich bin auch hier, um Sie wissen zu lassen, dass die Entschädigungsfrage für uns eine historische Schuld bleibt. Es hat nichts mit dem zu tun, was letztendlich als der Preis der Schulden festgelegt wird, es ist eine historische Schuld gegenüber denen, die gegangen sind, wie auch gegenüber den folgenden Generationen. Das griechische Parlament hat vor zwei Jahren die Initiative ergriffen, um daraus parteiübergreifend entsprechende Schlussfolgerungen abzuleiten. Dieser Prozess ist abgeschlossen und ich kann Ihnen ankündigen, dass in Absprache mit dem Parlamentspräsidenten das Ergebnis der Forderungen bis Ende des Jahres dem Parlament zugehen wird.“ (3)

Bei allem teilweise rhetorischen Aufgreifen der Reparationsfrage hat sich Tsipras hier die phonetische Nähe der Begriffe „Schuld“ und „Schulden“ zu Eigen gemacht, auf die auch die deutsche Seite zur Abwehr von Zahlungsaufforderungen immer wieder setzt. Sie hilft ihm angesichts der moralisch tiefgreifenden Dimension der deutschen Schuld den „schnöden Mammon“ in den Hintergrund zu drängen. In diesem Sinne kam Tsipras auch bei einem Besuch in Kalavryta am 13.12.2018 auf das Thema Entschädigungen zu sprechen: „Wir sind auch mit dem Parlamentspräsidenten zur einhelligen Übereinstimmung gekommen, sofort, wenn das Parlament nach den Feiertagen wieder arbeitet, das Thema im Plenum zu diskutieren und Initiativen zu ergreifen. Wenn es Einigkeit gibt, hilft das sowohl hinsichtlich der Entschädigungen wie auch des Darlehens. … Wenn das von der anderen Seite nicht anerkannt wird, müssen wir sehen, auf welche Art wir eine Lösung in dieser Debatte finden. Das hat unserer Einschätzung nach nichts mit der Höhe der Entschädigung zu tun, es ist vielmehr eine moralische Schuld, nicht nur gegen über dem griechischen Volk sondern gegenüber allen Menschen in Europa.“ (4)

Zu entsprechenden Parlamentsbeschlüssen ist es allerdings bislang immer noch nicht gekommen. Und auch eine deutliche Positionierung zur Reparationsfrage durch Tsipras hat es bei Merkels Besuch offensichtlich nicht gegeben. Der zutreffende Kommentar auf der Seite Imerodromos lässt vermuten, dass sich die neue Freundschaft zwischen Griechenland und Deutschland auch zukünftig davon nicht eintrüben wird. „Die Geschichte wiegt zu schwer für den Eintritt in den Bazar der Wahlen und der ökonomisch Herrschenden des Landes, die Interesse an Geschäften mit dem deutschen Kapital haben…. Das eine ist die historische Erinnerung und das andere ist das (politische) Marketing.“ (5)

Angesichts der Verschleppung des Reparationsthemas durch die griechische Regierung, um angesichts des erhofften „Aufschwungs“ die „Märkte nicht zu verunsichern“, blieb es der ehemaligen Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou vorbehalten, zum Besuch Merkels den Finger in die Wunde zu legen. Sie klagte die Regierung an: „Bereits als im September 2016 die Initiative zur einer Einrichtung ‚Gerechtigkeit für Alle‘ eingerichtet wurde, haben wir das betrügerische Spiel vorhergesagt, das Sie zu Lasten der Griechen organisiert haben. Damals hatten Sie dafür geworben, die gerade verfassten Schlussfolgerungen des Parlamentsausschusses zu den Ansprüchen aus den deutschen Schulden umzusetzen. Sie hatten angekündigt, diese im Oktober 2016 dem Parlament zu Abstimmung und Ratifizierung vorzulegen.
Seitdem und seit der Veröffentlichung der Ergebnisse sind 2,5 Jahre vergangen. In dieser Zeit haben Sie in heuchlerischer Weise entsprechende Ansprüche im Land und in Gedenkstätten wiederholt. Gleichzeitig haben Sie organisiert und bewusst vermieden, an der formellen Umsetzung zu arbeiten. So haben Sie die Ansprüche unseres Volkes untergraben, das heldenhaft gegen Nazis und Faschismus gekämpft und mit Blut für die abscheulichen NS-Verbrechen bezahlt hat, das 1,5 Millionen Tote zu beklagen hatte.
Aufgrund dieser kriminellen Inaktivität haben wir beim Obersten Gerichtshof am 22.6.2017 Klage gegen Sie eingereicht. Sie wurde an das Parlament weitergeleitet und ist dort noch anhängig, da Sie aufgrund Ihrer Immunität geschützt sind. …
Wir haben Sie aufgefordert, bis zum Oktober 2018 die erforderlichen Klagen gegen Deutschland voranzubringen, um die Ansprüche zu sichern, die aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg entstanden sind. …
Sie hatten sich öffentlich verpflichtet, diese Maßnahmen bis zum Ende des Jahres (2018) umzusetzen.
Wie erwartet und vorausgesagt, haben Sie dies nicht getan und so ist wieder ein Jahr verloren.
Wie ersichtlich spielen Sie auf Zeit wie in allen 4 Jahren, die Sie an der Macht sind, nur um am Ende feststellen zu können: „Wir sind nicht vorangekommen“.
In wenigen Stunden werden Sie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in Athen begrüßen – erneut ohne eine formelles Recht auf Klage.“ (6)

Mein persönliches Fazit daraus lautet: Die griechische Regierung wird nichts zur juristischen Durchsetzung von Reparationsforderungen unternehmen, schon gar keinen Druck aufbauen – unter dem sie dann nur selber stünde. Das Thema hängt der Regierung noch aus früheren Jahren nach und muss deshalb zeitweise wieder hervorgeholt werden, um die eigene Klientel zu beruhigen, es dürfte sich aber weiter verlieren (auch verbal). Die Regierung wird alles vermeiden, was „die Märkte verunsichern“ könnte. Ändern könnte sich das nur, wenn Syriza nach den Wahlen nicht mehr in der Regierung sein sollte.

Quellen / Anmerkungen:
(1) z.B. http://www.kathimerini.gr/988582/article/oikonomia/ellhnikh-oikonomia/spiegel-h-ellada-diekdikei-280-dis-apo-thn-germania
(2) Der vollständige Bericht (348 Seiten) findet sich hier als Dateiofeiles und hier als Link: (2) https://www.news247.gr/politiki/to-porisma-gia-tis-germanikes-apozimioseis-pano-apo-300-dis-axionei-i-ellada-apo-ti-germania.6655534.html
(3) http://www.efsyn.gr/arthro/tsipras-os-telos-toy-etoys-porisma-gia-tis-germanikes-apozimioseis Im gleichen Sinne machten sich auch andere stark, etwa Voutsis selbst oder der Syriza Abgeordnete und Vorsitzende des Parlamentarischen Ausschusses für deutsche Entschädigung, Triantaphyllos Metafides. http://thegreekobserver.com/politics/article/48626/nikos-voutsis-report-on-german-reparations-to-be-submitted-to-parliament-at-the-end-of-2018/ bzw. https://www.thepressproject.gr/article/135003/Perissotera-apo-300-dis-tha-zitisei-i-Ellada-gia-tis-germanikes-apozimioseis
(4) http://www.amna.gr/home/article/314889/Ithiko-chreos-stous-laous-tis-Europis-i-diekdikisi-ton-germanikon-apozimioseon
(5) https://www.imerodromos.gr/to-marketingk-den-choraei-stin-istoriki-mnimi-kyrie-tsipra/
(6) https://www.plefsieleftherias.gr/%ce%b5%cf%80%ce%b9%cf%83%ce%ba%ce%b5%cf%88%ce%b7-%ce%bc%ce%b5%cf%81%ce%ba%ce%b5%ce%bb-%ce%b4%ce%b5%ce%bd-%ce%be%ce%b5%cf%87%ce%bd%ce%b1%ce%bc%ce%b5-%cf%84%ce%b9%cf%83-%ce%b3%ce%b5%cf%81%ce%bc%ce%b1/

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Kriegsschuld, Ralf Kliches Beiträge, Syriza-Regierung veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar