Nach dem Kotzias-Rücktritt – zur Partnerschaft von Tsipras und Kammenos

Von Ralf Kliche
Der Rücktritt des griechischen Außenministers, Nikos Kotzias am 17.10. hat überall Überraschung und Spekulationen über die Hintergründe und Konsequenzen ausgelöst. In der Analyse von Wassilis Awestopoulos, der derzeitig besten deutschsprachigen, werden Vorgeschichte und Verlauf des Konflikts zwischen Kotzias und Verteidigungsminister Kammenos von der ANEL dargestellt. (1) In seiner Darstellung wird z.B. die Nähe von Kammenos zu konservativen kirchlichen Kreisen gut deutlich macht. Allerdings lohnt es, einige Überlegungen zu ergänzen, die Unterstützung von Kammenos durch Tsipras ist nicht so unerklärlich, wie es den Anschein hat.
Awestopoulos selbst gibt wenig Hinweise auf mögliche Motive von Tsipras. Angesichts des Zuspruchs und der Anerkennung, die Kotzias für sein Agieren im Namens-Konflikt aus dem westlichen Ausland und aus SYRIZA erfahren hatte, wäre eher eine Parteinahme für Kotzias zu erwarten gewesen.
Aus außenpolitischer Perspektive dürften die Hintergründe in der Unsicherheit über den Ausgang des Namens-Deals mit FYROM / Mazedonien zu suchen sein. Nach dem gescheiterten Referendum und angesichts der Schwierigkeiten, parlamentarische Mehrheiten für eine entsprechende Verfassungsänderung dort zu bekommen, kann das ganze Vorhaben noch scheitern. Dies wäre für die griechische Regierung fatal, hat sie sich doch sehr ins Zeug gelegt, der Interessenspolitik von EU, USA und NATO zur Kontrolle des südlichen Balkans das Terrain zu bereiten. Diese politische und militärische Zielsetzung scheint der des Prespes-Abkommens zu sein – nicht die Beseitigung eines anachronistischen Streits um Namen. Griechenlands Interesse an der Aufwertung des eigenen Landes bei den Kreditgebern und Unterstützern aus dem Westen ist aber nur möglich, wenn ein Grund für das Verlassen der bisherigen Obstruktionspolitik, das Veto gegen einen EU/NATO-Beitritt, gefunden werden kann, sprich: wenn der Namensstreit aus der Welt geschafft ist. (2)

In der stärkeren Hinwendung des eigenen Landes zur NATO, Bedienung von europäischen und US-Interessen auf dem südlichen Balkan und einem erhofften strategischen Einflussgewinn Griechenlands als „Mini-Ordnungsmacht“, verfolgen Tsipras und Kammenos durchaus ähnliche Interessen. Sie haben das mit der „Aufwertung“ der USA in der letzten Zeit unter Beweis gestellt, zuletzt auf der Messe von Thessaloniki. Bereits im Januar 2018 hatte Thanos Kamilalis von ThePressProject die Überlagerung der Interessen der USA und Griechenlands in dem Ziel formuliert, Griechenland zu einem „Israel des Balkans“ zu machen und den USA zu Brückenköpfen in der Region zu verhelfen. (3)

Kammenos hat mit dem Vortrag seines alternativen Plans bei seinen Gesprächen in Washington sicher auf eigene Rechnung gehandelt. Die Umsetzung eines solchen Plans würde ihm gestatten, erfolgreich aus dem Namens-Konflikt um FYROM/Mazedonien hervorzugehen, in dem er sich mit Vehemenz gegen die vorgeschlagene Lösung gestellt hatte und zugleich würde er die Pläne der USA auf dem Balkan unterstützen, mit denen diese ihre Einkreisungsstrategie gegen Russland weiter treiben wollen. Sicher ist auch, dass er seine Kompetenzen als Verteidigungsminister überschritten hat.

Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass das vorgestellte Szenario allein im eigenen ANEL-Umfeld entstanden ist und das könnte ein Grund für das Stillhalten / die Unterstützung von Tsipras im Konflikt mit Kotzias sein. Danach handelt es sich bei dem von Kammenos in den USA vorgelegten Szenario um einen „Plan B“, der auch bei der griechischen Regierung in der Schublade liegt, für den Fall, dass das Prespes-Abkommen politisch nicht durchgesetzt werden kann. In diesem Sinne äußerte sich der Journalist Michael Ignatius am 17.10.: „Der Plan B von Kammenos war so gut ausgearbeitet, dass er ihn nicht erst bei dem Treffen entwickelt haben kann. Bei näherer Untersuchung kam ich zu dem Schluss, dass für seine Erstellung Diplomaten und Militärs zusammen gearbeitet haben müssen. Ist es möglich, dass er ihn nicht mit dem Premierminister abgesprochen hatte, bevor er ihn den Amerikanern vorlegte?“ (4)

Sollte nun die offizielle griechische Regierungslinie scheitern, am Prespes-Abkommen festzuhalten, weil es weder in FYROM / Mazedonien noch in Griechenland politisch durchsetzbar ist, könnte der Plan B zum Tragen kommen, der durchaus für die USA interessant ist. Er käme auch ihrer derzeitigen Strategie entgegen, bilaterale Abkommen anstelle von multilateralen zu setzen. Man könnte sich quasi neben der NATO auf dem Balkan festsetzen und so einen Brückenkopf auch gegen die EU aufbauen – ähnlich wie das bei einigen osteuropäischen Ländern bereits geschehen ist. Schon beim Bombenkrieg gegen Serbien während des Kosovokrieges vor 20 Jahren wurden der USA durchaus eigene Interessen auf dem Balkan unterstellt. Dort, in Serbien, ist man noch immer nicht von den Vorteilen einer Einbindung in den Westen überzeugt. Der vorgelegte Plan B nimmt darauf Rücksicht, weil Serbien erst später zu den Partnern Griechenland, FYROM / Mazedonien, Bulgarien und Albanien stoßen soll – Griechenland könnte hier die Rolle eines Türöffners einnehmen.

Zugleich würde damit der Rahmen für die Legitimation der engeren militärischen Zusammenarbeit geliefert, die Griechenland anstrebt. In diesem Kontext spricht ein Bericht der US-Militär-Zeitung Stars and Stripes vom 11.10. klar die Wünsche von Kammenos bei seinem Treffen mit US-Verteidigungsminister Mattis aus: Athen wünscht sich von den USA eine größere und dauerhaftere Präsenz in Griechenland. „Es ist sehr wichtig für Griechenland, dass die USA mehr militärische Einrichtungen in Griechenland auf einer dauerhafteren Grundlage schaffen, nicht nur in Souda (auf Kreta) sondern auch in Larissa, in Volos, in Alexandropoulis.“ (5) Diese Wünsche sind sicher mit dem SYRIZA-Teil der Regierung abgesprochen – hier gab es keine Dementis oder Vorwürfe an Kammenos.

Außenpolitisch übernimmt Kammenos so für Tsipras die Rolle des Minenhundes, für Positionen, die er selbst derzeit nicht offensiv vertreten will, die aber für ihn noch nützlich sein können. Auch innenpolitisch ergänzen sich die Interessen der beiden durchaus, was bei Awestopoulos nicht angesprochen wird.

Der reguläre Wahltermin im Herbst 2019 ist für beide von Interesse.

Der Rückstand von SYRIZA zur Nea Dimokratia bei den Wahlumfragen ist zuletzt wieder gewachsen – er liegt jetzt bei 11% – und die aktuellen Konflikte um den Namenstreit und die bislang ausgebliebene Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Bevölkerung lassen eine Verbesserung kurzfristig nicht erwarten. Tsipras versucht so, auf Zeit zu spielen und vorgezogene Wahlen zu vermeiden; vielleicht kann er doch die Rentenkürzungen vermeiden, die Arbeitslosenzahlen etwas weiter senken etc… Kammenos könnte ihm dabei einen Strich durch die Rechnung machen, wenn er die Koalition im Namenskonflikt platzen ließe. Tsipras ist derzeit auf ihn angewiesen und muss Ruhe halten. So wird der Kotzias-Rücktritt zu einem aus „persönlichen Motiven“.

Kammenos hingegen weiß, dass ANEL allen Umfragen zufolge wahrscheinlich nicht mehr ins Parlament kommen wird. Seine einzige verbleibende Chance besteht darin, sich in der Zeit bis zu den Wahlen als Verteidiger nationaler / religiöser Interessen zu profilieren. Insofern ist der Kotzias-Rücktritt für ihn derzeit ein Erfolg. Zugleich benötigt er aber auch Zeit, diese Rolle auszubauen. Ihm kann insofern nicht an vorgezogenen Wahlen gelegen sein, auch wenn er bei seinen Anhängern für eine harte Haltung zum Prespes-Abkommen im Wort steht.

Noch ein Wort zu den „Schwarzen Kassen“; auf Kammenos Verschwörungstheorie über den Einfluss von Soros auf die griechische Außenpolitik muss man nicht eingehen.

Die Vorwürfe von Kammenos an Kotzias über die Verwendung „geheimer Kassen“ im Außenministerium haben entsprechend aufgeregte Kritik bei der Opposition und im Anschluss im Parlament und bei den Medien ausgelöst. Die offizielle Reaktion erfolgte durch Parlamentspräsident Nikos Voutsis, der nicht die Existenz entsprechender Gelder dementierte, aber betonte, dass diese jetzt erstmalig durch das Parlament kontrolliert würden. (6) Er griff stattdessen die Plattform iferimida.gr an, die davon berichtet hatte. „Das Durchsickern angeblich ‚vertraulicher Ausgaben‘ an die Presse ist empörend und wirft ernste Fragen über die Ziele der Politiker und Medien auf, die diese ‚Nachrichten‘ reproduzieren.“ Dort war von 1 Mio. Euro gesprochen worden, die an Medien in Albanien und FYROM / Mazedonien für eine positive Griechenland-Berichterstattung vergeben worden waren (sowie zur Unterstützung orthodoxer Kirchen). (7)

Die Existenz entsprechender Gelder in den Ministerien war bislang weitgehend unbekannt. Teilweise ist jetzt die Rede davon, dass 7 Ministerien über inoffizielle Kassen verfügen könnten, Awestopoulos spricht sogar von allen Ministerien. Genaueres weiß anscheinend niemand. (8)

Quellen:
(1) https://www.heise.de/tp/features/Aussenminister-Nikos-Kotzias-tritt-zurueck-Tsipras-uebernimmt-4194353.html
(2) Die NATO hat auf dem Gipfeltreffen in Bukarest 2008 beschlossen, dass der Beitritt der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien zur NATO erst dann stattfinden wird, wenn mit Griechenland eine Einigung über das Problem des Namens erzielt wurde
(3) https://www.thepressproject.gr/article/123301/israil-twn-valkaniwn
(4) https://hellasjournal.com/2018/10/trikymia-en-kranio-oi-quot-vomves-quot-toy-kammenoy-kai-otan-oi-ellines-politikoi-diylizoyn-ton-konopa/ Der Artikel wurde in der konservativen Ethnos veröffentlicht.
(5) https://www.stripes.com/news/add-greece-to-the-list-of-countries-pressing-for-more-us-troops-1.551298 , siehe auch https://www.stripes.com/news/us-considers-more-troops-and-drills-in-greece-1.545937
(6) http://www.efsyn.gr/arthro/orgi-maximoy-kai-voytsi-gia-diarroi-dithen-aporriton-dapanon-toy-ypex
(7) http://www.iefimerida.gr/news/452348/poy-pigan-mystika-kondylia-toy-ypex-ypsoys-1-ekat-eyro-i-teleytaia-enimerosi-tis-voylis
(8) siehe auch https://www.griechenland.net/nachrichten/chronik/24671-wie-geht-es-nach-dem-r%C3%BCcktritt-des-br%C3%BCskierten-au%C3%9Fenministers-in-athen-weiter

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