Macron auf der Seite der Griech*innen?

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Von Ralf Kliche, 12.09.2017

Über Emmanuel Macrons Staatsbesuch in Griechenland ist allseits berichtet worden, je nach redaktioneller Ausrichtung und Organisation aus der Politikredaktion oder der Wirtschaftsredaktion. Der Besuch war sicher beides und schon der Titel des Artikels von Wassilis Aswestopoulos bringt seinen Doppelcharakter auf den Punkt und in Gegensatz zur verbreiteten „europhorischen“ Darstellung in vielen Medien: „Macron auf PR- und Einkaufstour in Griechenland“. Der Text hält, was der Titel verspricht. Trotzdem lohnen sich einige Detaillierungen und Ergänzungen.

Die europapolitischen Grundsatzreden von Macron und Tsipras hatten ihre wesentlichen Adressaten in Berlin sitzen, und auch den französischen Unternehmern ging es darum, im griechischen Ausverkauf ihre Interessen u.a. gegenüber Deutschland wahrzunehmen und ihren Einfluss auszubauen. Immerhin waren in der mehr als 40-köpfigen Wirtschaftsdelegation, die die Hintergrundgespräche in Athen führte, die entscheidenden französischen Unternehmen vertreten: von Total (Öl und Gas) und Alstom (Züge, öffentliches Transportwesen) über Saur und Suez (Wasser), Sanofi (Pharma) und Vinci (Bau und Betrieb von Infrastrukturen) bis hin zu Konzernen der Lebensmittelindustrie und des Tourismus (Quelle1, Quelle2).

Maria Denaxa formulierte das für France Info TV so: „Ein Besuch mit einem stark wirtschaftlichen Charakter. (…) Frankreich, das 10% der ausländischen Investitionen in Griechenland ausmacht, will nicht die Chancen auslassen, die sich aus der wirtschaftlichen Erholung und dem Privatisierungsprogramm ergeben und bislang nur den chinesischen und deutschen Unternehmen nutzten.“ (zitiert nach: thepressproject )

Die Gespräche scheinen erfolgreich verlaufen zu sein, immerhin zitiert SPIEGEL Online den griechischen Wirtschaftsminister Dimitris Papadimitriou so: „Die Franzosen werden schon sehr bald massiv investieren – in den Tourismus, Energie, Infrastruktur und weiteren Branchen.“

Dies passt in die aktuelle Politik von Tsipras, dem es in der zentralen Zielsetzung einer „Rückkehr zu den Märkten“ um die Anwerbung ausländischer Investitionen geht. Hatte Tsipras bei den französischen Wahlen noch Unterstützung für Macrons linken Widersacher Melenchon gezeigt, buhlt die griechische Regierung jetzt um „Hilfe“ und „Vertrauen“ beim internationalen Kapital. Einen Rückschlag hat diese Strategie übrigens erlitten, als am 11.September die kanadischen Besitzer ankündigten, den umstrittenen Goldabbau auf der Halbinsel Chalkidiki auszusetzen, sicherlich auch eine Reaktion auf den lokalen Widerstand und Widerständigkeit in der Regierung. Erst nach einem Richtungswechsel im Umweltministerium oder nach einem Regierungswechsel, sei man bereit, die Entscheidung zu überdenken. (Siehe)
Hinsichtlich der Umsetzung eines gerade beschlossenen Gesetzes, mit dem die faktische Rechtlosigkeit der Beschäftigten gegenüber den privaten Unternehmen angegangen werden soll und das von seinen Zielen her auch von vielen Linken unterstützt wird, weckt diese Strategie starke Skepsis. Der griechische Unternehmerverband SEV jedenfalls fordert bereits, die von Macron angestrebte Liberalisierung des Arbeitsmarktes auch für Griechenland zu übernehmen. Im Detail fordert der Verband in seinem wöchentlichen Bulletin vom 7.9.2017 z.B. die weitere Dezentralisierung von Tarifverhandlungen, Aufhebung der Rechtsvorschriften für befristete Arbeitsverträge und Vereinfachung von Entlassungen. Macron habe bewiesen, dass diese Änderungen auch in „verkrusteten Systemen industrieller Beziehungen“ wie z.B. „Italien, Portugal und Griechenland vor der Krise“ möglich seien. (Quelle)

Die Zusammenhänge sind natürlich auch der linken Opposition klar. Eine Demonstration der LAE gegen den Besuch wurde am Donnerstag durch Polizei verhindert. Der LAE-Chef Lafazanis sprach von „einem Protest gegen den Besuch des französischen Präsidenten, der sich als Agent mit einer Delegation von Geschäftsleuten hier befindet, um einzupacken, was in diesem Land noch verkauft werden kann.“ (Quelle)

Diem25 warf Macron vor, dass er zwar einerseits den radikalen Umbau der EU einfordere. Seine Aufforderung an Griechenland, die eingegangenen Sparverpflichtungen umzusetzen – und so öffentliches Eigentum an französische Unternehmen zu verkaufen – sei andererseits aber nichts anderes als die Politik dieser von ihm kritisierten EU. (Quelle)

Aber auch die Beschäftigen der Wasserwerke in Athen und Thessaloniki haben die Bedeutung des Besuchs erkannt. Sie demonstrierten am Freitag vor den Firmenbüros in Thessaloniki gegen die Privatisierung der Wasserwerke und forderten, das Recht auf Wasser in die Verfassung aufzunehmen. (Quelle)

Symbolpolitik – aber Symbol wofür?

Jenseits der ökonomischen Hintergründe ist den deutschen Medien die freundliche Aufnahme Macrons nicht nur durch Tsipras sondern auch durch die griechische Bevölkerung aufgefallen. So schrieb SPIEGEL Online: „Die Griechen waren, so muss man es sagen, hingerissen“. Insbesondere wurde der Symbolgehalt der Tatsache gewürdigt, dass Macron seine Rede auf dem Pnyx gehalten hat, dem Hügel, auf dem in der Antike die Volksversammlungen abgehalten wurden. Dieser Ort für eine Rede – nach Ansicht des Handelsblatts eine Ehre, die einem deutschen Politiker wohl nicht zugestanden worden wäre – wird als Zeichen der gemeinsamen demokratischen Orientierung beider Länder verstanden.

Diese Ansicht ist allerdings nicht ganz ungeteilt. Die Plattform ThePressProject hat einen provokanten Text von Nikos Boiopoulos nachgedruckt, der auf die Fragwürdigkeit dieser Assoziation verweist.

Ihm zufolge habe zunächst Tsipras die Kulisse der Akropolis wieder einmal genutzt, um die griechischen „Eingeborenen“ zu blenden:
· „Er hat von der ‚Änderung Europas‘ gesprochen und mit ‚Europa‘ doch nur die EU gemeint, diesen legitimen Erben der Heiligen Allianz und der Heiligen Inquisition.

… Er hat die Phrase von den ‚Werten der Aufklärung‘ vor dem Präsidenten eines Landes gedroschen, das 2017 noch Kolonien von Martinique und Guinea bis zu den Antillen und Guadeloupe unterhält.

… Er hat vor dem Präsidenten eines Landes von ‚Investitionen‘ geschwätzt, das Syrien verwüstete und das die Bereitschaft der französischen Hauptstadt zu ‚Investitionen‘ in den Wiederaufbau von Syrien angekündigt

… Er hat auf die übliche Art über den Ausstieg aus den Folgen der Krise gelogen – so, als ob mit der Ankunft Macrons die Wiedergutmachung der Verluste aus den Memoranden erfolgen würde sowie die Abschaffung der 700 Memorandumsgesetze und ihrer 30.000 Durchführungsbestimmungen.

… Für Macron und seine inländischen Freunde repräsentieren die Akropolis und der Heilige Fels nicht die Forderung nach einer universellen Demokratie, wie sie von den 20.000 freien Athenern in der Antike verkörpert wurde.

… Sie bilden nur die Dekoration der Verewigung eines Zustandes der Barbarei, den im antiken Attika 400.000 Sklaven durchleben mussten.

… Sie repräsentieren den Zustand vor Solon und der ‚Schuldenreduzierung‘ seiner Zeit, als ein Zustand herrschte, bei dem ein Bürger, der seine Schulden nicht begleichen konnte, seine Freiheit verlor.

… Sie repräsentieren nicht das Athen der Republik sondern das Athen mit der Kriegskasse in Delos, des Niedergangs von Milos, der imperialistischen Rivalitäten und des Peloponnesischen Krieges.

… Dies ist die Botschaft des Bildes mit den Umarmungen und Küssen von Tsipras und Macron auf dem Pnyx vor dem Hintergrund der Akropolis.“

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