
Von Achim Rollhäuser
In der Nacht vom 13. Auf den 14. April fand in Exarcheia ein Angriff auf das lokale Polizeirevier statt, an dem Dutzende von Personen beteiligt waren. Es wurden Molotov-Cocktails geworfen; die Polizei antwortete mit massivem Tränengaseinsatz und Blendschockgranaten. Aufgrund des Vorrückens der Bereitschaftspolizei verlagerten sich die Auseinandersetzungen etwas weiter weg, wobei mehrere Kleinwagen und einige Kleinmotorräder in Brand gesetzt wurden. Auch ein Geschäft brannte aus; ein Wohnhaus entging nur knapp dem Brand.
Für die Regierung der rechten Neuen Demokratie (ND) und die Athener ND-Stadtratsfraktion war sofort klar, wo die Urheber des Angriffs zu suchen sind: Zur gleichen Zeit fand etwa 300 m weiter, durch mehrere Straßen und einige Höhenmeter getrennt, auf dem Strefihügel ein Solikonzert mit Gaza/Palästina statt. Die ND behauptete frech, die Konzertbesucher*innen seien für den Angriff und die Brandstiftungen verantwortlich, etwas, das durch nichts zu belegen ist, nicht einmal von der Polizei behauptet wird und sogar durch den Athener Bürgermeister zurückgewiesen wurde.
Trotzdem hat der griechische Polizeiminister (euphemistisch: „Bürgerschutzminister“) jetzt angekündigt, alle Konzerte in Exarcheia verbieten zu wollen. Eigentlich fällt das natürlich nicht in seine Kompetenz, aber wenn die Regierung die Sache zu einer von nationaler Tragweite erklärt, kann er sogar zu solchen Maßnahmen greifen.
Ich übersetze hier den entsprechenden Artikel der Zeitung der Redakteure vom 15.04.25 (EfSyn, https://www.efsyn.gr/politiki/kybernisi/469366_hrysohoidis-apo-mayres-epohes-apagoreyontai-oi-synaylies-sta-exarheia):
>Chrysochoidis aus … dunklen Tagen: Konzerte in Exarchia verboten
Der Minister entscheidet und verfügt die Art der Unterhaltung für die Bürger von Athen.
Autoritarismus, Arroganz und Polizeigewalt. Wieder einmal setzt die Regierung auf die Doktrin des „inneren Feindes“, um ihr konservatives, rechtsextremes Publikum auf Kosten der Einwohner Athens um sich zu scharen.
Der Minister für Bürgerschutz, Michalis Chrysochoidis, erklärte heute Morgen, dass „unabhängig davon, wer die Erlaubnis erteilt und wer nicht, in Exarchia, auf dem Strefi-Hügel und anderswo keine derartigen Veranstaltungen mehr zugelassen werden, weil in Exarchia derzeit ein sehr positives und sehr angenehmes Zusammenwirken von Entwicklung und modernisierendem Wachstum stattfindet“.
„Es gibt keinen Grund, Konzerte in einem Gebiet zu veranstalten, das so dicht besiedelt ist und von einigen Leuten als Ausgangspunkt für Riots genutzt wird“, sagte der Minister, der damit im Wesentlichen ‚beschließt und anordnet‘, was das Vergnügen eines ganzen Stadtteils von Athen betrifft…
„Es gibt keinen Grund, dass sich 2-3 Tausend Menschen dort versammeln und Veranstaltungen abhalten, zum Beispiel für Gaza oder was auch immer, sollen sie doch woanders hingehen. Es ist ein dicht bevölkertes Gebiet, wir können keine Gebiete belasten, die bereits eine Menge Belastungen haben“, sagte er ebenfalls.“
Dazu ist folgendes zu bemerken:
- Die „dunklen Tage“ verweisen auf die Juntazeit von 1967-1974. Mit „Wir beschließen und ordnen an“ wurden die Verfügungen der Militärjunta eingeleitet.
- Es gibt, wie eingangs erwähnt, keinen Zusammenhang zwischen dem Konzert und den Riots.
- Der Regierung sind Veranstaltungen für Palästina/Gaza ein Dorn im Auge, widersprechen sie doch den hervorragenden Beziehungen zu Israel. (MP Mitsotakis hat gerade vor zwei Wochen Israel einen Besuch abgestattet.)
- Chryochoidis sorgt sich plötzlich um Exarcheia, nachdem die Regierung jahrelang das Viertel völlig vernachlässigt hat.
- Genau so plötzlich sorgt er sich um den Strefihügel, wo doch die ND-Stadtregierung bis vor einem Jahr den Hügel durch ihre „Verbesserungen und Verschönerungen“ teilweise schwer beschädigt und Teile des Waldes zerstört hat.
- Das „sehr positive und sehr angenehme Zusammenwirken von Entwicklung und modernisierendem Wachstum“ betrifft offenbar die Gentrifizierung, die in den letzten Jahren mit airbnb und dadurch für viele unbezahlbarem Wohnraum zügig fortgeschritten ist und das Viertel seiner Historie der Widerständigkeit und Auflehnung weitgehend beraubt hat.
- Es betrifft sicher auch den Bau einer U-Bahn-Station auf dem Exarcheia-Platz, dem einzigen grünen Platz des Viertels, der jetzt nach der Entfernung von über 80 alten Bäumen kahl und leer ist, umgeben von einem 5 m hohen Baustellenzaun. Dabei hätte die Station viel besser 400 m bzw. 5 Gehminuten entfernt und ohne große Zerstörungen vor das Archäologische Museum gebaut werden können, wo sie wegen des Tourismus sowieso hingehört hätte.
- Die ND hat immer betont, dass alles Selbstorganisierte und Selbstverwaltete ihr ein Dorn im Auge ist. Folgerichtig hat sie z. B. nach ihrer Wahl 2019 alle (bis auf eine) selbstorganisierten Geflüchteten-Unterkünfte bzw. Hausbesetzungen in Exarcheia, aber auch anderen Teilen von Athen, geräumt.
- Auf dem Stefihügel haben immer schon Konzerte stattgefunden. Die Veranstalter haben sich in der Regel bemüht, die Lautstärke in Grenzen zu halten, so dass die Nachbarschaft nicht über Gebühr gestört wird.
- Es gibt im gesamten Innenstadtbereich keinen anderen Ort, wo selbstorganisierte Veranstaltungen oder Konzerte stattfinden könnten. Das ist natürlich auch der Regierung bekannt. Sie will durch das Verbot solche Veranstaltungen komplett verhindern.
Syriza und Kommunistische Partei (KKE) haben das Vorhaben von Chryochoidis verurteilt. Die KKE erklärt dazu:
„Die Regierung verwandelt ein Athener Stadtviertel in eine „verbotene Zone“ für Kultur, kollektive Aktionen, den Ausdruck von Solidarität mit Menschen, die unter den Verhältnissen leiden, und natürlich für die Rechte und die Lebensqualität der Bewohner. Gleichzeitig wird die Tür für Immobilien- und Tourismusunternehmer weit geöffnet. Dies ist der Inhalt der Entwicklung, für die auch Herr Chrysochoidis wirbt und die, wie sich zeigt, absolut nichts mit den wirklichen Bedürfnissen der Bewohner des Viertels zu tun hat.“
Wo sie Recht haben, haben sie Recht…


Das hier ist das kleine Theater auf dem Strefi, in dem und um das die
Konzerte stattfinden.
Φωτογραφία
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