
Von Franziska Grillmeier, zeit.de 16.4.2022:
„Griechisch-türkische Grenze: Am Fluss der Schande
Immer wieder sterben Menschen bei dem Versuch, über den Fluss Evros von der Türkei in die EU zu gelangen. Die griechische Regierung tut alles, um das zu vertuschen.
s gibt wahrscheinlich keinen Menschen, der akribischer die Spuren der Toten des Evros sammelt als der Gerichtsmediziner Pavlos Pavlidis. Man ist noch dabei, sich auf die schwarze Couch vor seinem Schreibtisch zu setzen, da klickt Pavlidis schon konzentriert durch die Bilder auf seinem Computerbildschirm. Die Zigarette in seinem Aschenbecher ist bis zum Filter heruntergebrannt.
„Hier, ein Mann aus Pakistan“, sagt Pavlidis. Auf dem Monitor ist ein mittelalter Mann zu sehen, die Augen sind geschlossen, sein Gesicht hebt sich weiß von der Metallplatte des Tisches ab, auf dem er liegt. „Die Polizei brachte ihn diesen Januar zu mir. Er war nicht derart entstellt wie die anderen.“
Pavlidis überspringt die Bilder, auf denen der Ertrunkene nackt zu sehen ist, dann zoomt er näher an einen ausgefransten Zettel mit verschwommenen Nummern darauf, der neben dem Körper des Mannes liegt. „Das war wohl eine Telefonnummer.“
Wir sind in der nordgriechischen Stadt Alexandroupoli, nahe der Grenze zur Türkei, in der Forensischen Abteilung des Universitätsklinikums. In den vergangenen 22 Jahren hat Pavlidis hier, im Untergeschoss des Gebäudes, über 500 Menschen untersucht, die im Grenzfluss Evros ertrunken sind. Fast alle sind Geflüchtete, die aus der Türkei auf dem Weg in die Europäische Union waren. Die meisten, sagt er, seien auf dem Höhepunkt der Fluchtbewegung 2015/16 gekommen.“ weiterlesen