
Mirko Broll und Mario Neumann, Freitag.de:
„Überall Polizei, nirgendwo Ärztinnen.
Griechenland Am Schauplatz von zehn Jahren neoliberaler Gesundheitspolitik sehen wir: Wo das Soziale kaputt gespart wurde, bleibt in der Pandemie nur die Aufrüstung
Im kommenden Mai wird es zehn Jahre her sein, dass in Athen der Syntagma-Platz aus Protest gegen die Sparpolitik der Troika besetzt wurde. Zehn Jahre, in denen Griechenland Schauplatz von europäischer Politik und Geschichte im Wortsinn geworden ist: Die europäische Schuldenkrise, der Aufstieg und Fall der linken Sammlungspartei Syriza, die Memoranden der Troika, dann der Sommer der Migration 2015, die Hotspots auf den Inseln, Idomeni, Moria und die Auseinandersetzung am Evros. Spätestens seit der Corona-Pandemie verdient aber noch eine andere Tatsache Aufmerksamkeit: Griechenland ist auch Schauplatz von zehn Jahren neoliberaler Gesundheitsgeschichte. Hier zeigt sich: Je schlechter der Zustand des Gesundheitswesens ist, desto härtere Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen müssen in der Pandemie ergriffen werden.
Die Corona-Pandemie und die politischen Reaktionen machen einen komplizierten Zusammenhang deutlich. Die öffentliche Gesundheit und der Schutz vor Krankheit und Tod sind eine in sich widersprüchliche Angelegenheit. Gesundheit kann als Menschenrecht eingefordert und erkämpft werden, sie kann aber ebenso eine Rechtfertigung staatlicher Ermächtigung sein, in deren Namen es zur Beschränkung von Grund- und Menschenrechten kommt. Die hohe Geschwindigkeit der Verbreitung des Coronavirus hat es teilweise unmöglich gemacht, die politischen Reaktionen anders zu konzipieren denn als Feuerwehrpolitik. In dieser Hinsicht waren sie vielerorts tatsächlich alternativlos, weil die politischen Voraussetzungen der Corona-Politik (Ausstattung der Gesundheitssysteme, Lebensbedingungen etc.) sich in jenen Momenten des epidemiologischen Ausnahmezustands nicht kurzfristig ändern ließen.“ weiterlesen