Zur Lage der Geflüchteten in Griechenland

Das Lager Kara Tepe (=Moria2) nach einem Regen im Oktober

Von Angela Müller, Dezember 2020:

Mein Bericht bezieht sich auf die Situation der Geflüchteten auf Lesbos und in Athen. Die Situation in den weiteren Lagern auf Samos, Chios und Leros ist ähnlich katastrophal. Der Nachrichtenwert von Moria 2 liegt bei Null. Menschliches Leid ist nur nachrichtenwürdig, wenn es einen großen Zwischenfall gibt (Ausbruch des Feuers in Moria 1).

Nach dem Brand des alten Lagers Moria 1 lebten 12 Tausend Menschen auf der Straße. Mitglieder von NGO`s wurden daran gehindert, die Menschen zu versorgen. Bei einer Protestdemonstration der Geflüchteten („Wir wollen Freiheit„) ging die Polizei mit Tränengas gegen die Geflüchteten vor. Die Menschen wurden gezwungen, in das neue Lager Moria 2 zu ziehen, indem man ihnen sagte, sonst würde ihr Asylantrag nicht bearbeitet. Ungefähr 7 Tausend Menschen gingen so in das neue Lager. Das neue Lager wurde in aller Eile aufgebaut und gilt als Provisorium. Der Mietvertrag gilt aber bis 2025, dies lässt Zweifel an dieser Behauptung aufkommen.

Yousif Al Shewaili ( irakischer Flüchtling ):
Ich wünschte, ich könnte euch gute Nachrichten bringen. Ich könnte euch erzählen, dass die Dinge sich neuen Moria 2 Camp sich geändert hätten. Ich würde euch gern erzählen, dass das Camp jetzt endlich mit Duschen ausgestattet ist, mit wenigstens lauwarmem Wasser und dass die Bewohner sich nicht länger im eiskalten Meerwasser waschen müssen oder mit dem Liter Trinkwasser, der täglich verteilt wird. Ich würde euch gern erzählen, dass alle Zelte mit Elektrizität ausgestattet wurden, sodass jeder zu jeder Zeit seine Liebsten benachrichtigen kann oder Musik hören kann. Ich würde euch gern erzählen,dass alle Bewohner genügend warme Kleidung hätten, und dass sie nicht mehr in der Nacht vor Kälte zittern müssten. Ich würde euch gern erzählen, dass die Bewohner nicht stundenlang im Wind warten müssen, aneinander geklebt ohne Distanz, um eine Mahlzeit zu erhalten, die sie nicht satt macht. Ich würde euch gern erzählen, dass der Spielplatz der Kinder nicht ein Feld mit Gewehrkugeln, Steinen und Dreck wäre. Ich würde euch gern sagen, dass alle jungen Leute in die Schule gehen. Ich würde euch gern sagen, dass sie alle noch Hoffnung haben. Ich würde euch all dies gern sagen, aber die Wirklichkeit ist das vollständige Gegenteil.“

Das neue Lager Moria 2 liegt direkt am Meer und ist der kalten und feuchten

Witterung und den starken Winden dort ausgesetzt.

Die Menschen haben Angst, dass die Zelte wegen des Windes wegwehen

könnten. Es handelt sich um Sommerzelte, die keinen Schutz vor Kälte

bieten. Es gibt keine Holzpaletten auf dem Boden, sodass der Regen ungehindert in die Zelte fließen konnte.

Es gibt eine Mahlzeit am Tag. In den Zelten , die für eine Familie gedacht

sind, leben mehrere Familien .

Alleinstehende Männer leben in Zelten mit 150 bis 200 Menschen.

ZUM LOCKDOWN IN MORIA 2

Es gibt keine angemessenen Maßnahmen gegen Covid 19, stattdessen

strikte Regeln und drakonische Maßnahmen.

Die Bewohner dürfen das Lager nicht verlassen, außer bei dringendem

medizinischen Bedarf.

Wenn die Regeln nicht eingehalten werden, zum Beispiel Alkohol getrunken

wurde, werden die Bewohner rausgeschmissen und ihre finanzielle Unter-

stützung gestoppt ( 70 Euro monatlich für Alleinstehende )

Dazu kommt eine kollektive Bestrafung , die Elektrizität für einen ganzen

Abschnitt wird gesperrt.

Moria 2 ist zu einer „black box“ geworden.

Es gibt keinen freien Internetzugang für die Bewohner, Fotografieren im

Camp ist verboten, die Polizeit beobachtet alles.

Journalisten haben keinen Zugang. Wenn sie in die Nähe des Camps kommen,

werden sie schikaniert und eingeschüchtert.

Damit werden die Bewohner isoliert und Berichte über ihre Situation erschwert.

DAS AREAL

Das Areal des neuen Lagers ist ein ehemaliger militärischer Schießübungsplatz.

Das Gelände wurde nur oberflächlich gesäubert, es ist kontaminiert

mit Bleisäure, Quecksilber, Uran und Bleistaub, was langfristig schwerste

gesundheitliche Schäden verursachen kann.

Die Kinder können beim Spielen Schrapnelle und Munition finden.

Diese Dinge wurden veröffentlicht, die Behörden wurden gewarnt,

aber es gab keine Reaktion.

ZUR PSYCHISCHEN GESUNDHEIT DER BEWOHNER

Ein großes Problem in Moria 2 ist die schlechte psychische Verfassung der

Bewohner. Viele von ihnen waren schon traumatisiert, als sie in Griechen-

Land ankamen . ( Krieg, Zwang, ihre Heimat verlassen zu müssen, Gewalt

an den Grenzen, lebensgefährliche Überfahrt nach Griechenland )

Das Leben in Moria 1 , die Ereignisse nach dem Brand, die Brutalität der

Polizei, der Mangel an Nahrung und Wasser haben viele Menschen retrauma-

tisiert.

In den Camps selbst sind die Menschen einer besonderen Form von Gewalt

ausgesetzt. Diese Gewalt erzeugt einen Verlust an Würde, Selbstbestimmung

und Freiheit.

Die Geflüchteten werden gezwungen unter unmenschlichen Bedingungen

zu leben, sie sind eingeschlossen, sie können keine autonomen Schritte machen.

Sie müssen auf die Entscheidungen eines Asylsystems warten, das ihnen

willkürlich und intransparent erscheint.

Dazu kommen Ungewissheit und Angst vor Ablehnung des Asylantrags

und Abschiebung.

Viele leiden an Depressionen, Teenager verletzen sich, haben Selbstmord-

absichten.

Yousif al Shewaili:

„ Ich kämpfe jeden Tag , um mich aufrecht zu halten. Manchmal schließt sich

mein Geist und löscht alle Erinnerungen der letzten Jahre. Ich fühle mich dann vollkommen leer und zerbrochen. Ich muss dann langsam die Teile

meines Gedächtnisses wieder zusammensetzen.“

HILFSORGANISATIONEN UND HELFER/INNEN

Eine Delegation der Linksfraktion des EU Parlaments und Abgeordnete aus

verschiedenen Ländern berichteten:

NGO`s haben kaum Möglichkeiten mit den Menschen im Lager zu reden.

Juristische Hilfe ist nicht vorhanden.

NGO`s werden unter Druck gesetzt, ihre Registrierung wurde verschärft.

Mark Schwarz von „Cars of Hope“ berichtet:

Menschen, die versuchen, Geflüchtete mit Lebensmitteln und Wasser zu

unterstützen, bekommen Geldstrafen und werden von Polizisten auf

Motorrädern gejagt.

PIKPA CAMP

Das Camp Pikpa war ein sicheres und würdevolles Zuhause für besonders

Schutzbedürftige und Traumatisierte .

Die Menschen lebten in ehemaligen Ferienhäuschen, sie konnten sich

mit ihren jeweiligen Fähigkeiten beteiligen. ( Arbeit in der Küche, im

Garten u.s.w. )

Es gab eine gute medizinische Versorgung und eine Unterstützung für

Traumatisierte.

Das Camp wurde geräumt. Die Schutzsuchenden wurden nach Moria 2

verlegt. Sie dürfen nicht länger gut behandelt werden.

RASSISMUS IM KRANKENHAUS

Der Arzt Gerhard Trabert , der auf Lesbos gearbeitet hat, berichtet von

einer offen rassistischen Behandlung der Geflüchteten.

Bei Verletzungen und Erstbehandlungen gibt es keine Schmerzmittel,

es gibt keine Krücken bei Knochenbrüchen und keinen Fahrdienst.

Die Kranken müssen zu Fuß wieder ins Lager gehen.

Beim Tod von Angehörigen gibt es eine kurze Mitteilung auf dem Gang,

es ist kein Abschied möglich.

Ständig sterben Geflüchtete, doch die Behörden verheimlichen die Zahlen.

DIE VERSCHWUNDENEN

Nach dem Brand von Moria 1 sind viele Menschen verschwunden.

12 Tausend Menschen wurden obdachlos, ungefähr 7 Tausend gingen in das

Neue Camp.

Was geschah mit den übrigen 5 Tausend ?

Einige unbegleitete Minderjährige wurden ausgeflogen, andere von ihnen

so wie Anerkannte und Schutzbedürftige wurden auf das Festland verlegt.

Aber das waren nicht 5 Tausend Menschen.

Vermutlich leben einige von ihnen in den Überresten des alten Moria

oder in den umliegenden Wäldern ohne Schutz , Nahrung und medizinische

Versorgung.

GEFLÜCHTETE IN ATHEN

Viele Menschen, deren Asylantrag anerkannt wurde, leben in Athen im Freien auf dem

Viktoria Platz. Sie mussten nach ihrer Anerkennung die Lager verlassen.

Es gibt keine ärztliche Versorgung, kein Essen, kein Wasser, keine Unterbringung.

Wenn sie in Athen ankommen, erhalten sie 60 Euro Startgeld, weitere

Hilfen gibt es nicht.

Notis Mitarakis, Migrationsminister : „ Wer anerkannt ist, soll sich wie jeder

griechische Bürger selbst um Unterhalt und Obdach kümmern.“

Theoretisch gibt es Sozialleistungen, Leistungen des Gesundheitssystems und

Unterbringung. Aber dafür werden Dokumente benötigt, die die Menschen

nicht beschaffen können . Sie brauchen eine Steueridentifikationsnummer,

für die der Nachweis eines Wohnsitzes nötig ist.

FAZIT

DIE EU UND DIE GRIECHISCHE REGIERUNG HABEN SICH VON EINER

POLITIK, DIE MENSCHLICHES LEBEN SCHÜTZT, VERABSCHIEDET:

GEFLÜCHTETE SIND OHNE RECHTE. SIE WERDEN ERNIEDRIGT UND

GEBROCHEN. IHR LEBEN STEHT AUF DEM SPIEL:

ÜBER DIE POLITIK DER AUSGRENZUNG HINAUS GIBT ES EINE AKTIVE

POLITIK DES TODES.

ES GEHT UM EIN POLITISCH ORGANISIERTES MENSCHENRECHTSVER-

BRECHEN.

Quellen: Mare Librum, Pro Asyl, Arzt Gerhard Trabert und andere

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