Verdi: „Das aufgezwungene dritte „Memorandum“…darf …keinen Bestand haben“

VERDI-Farbe_ohne-SchriftzugSie sind nicht ganz neu, aber wichtig als Argumentationshilfe, um Bündnisse mit Gewerkschafter*innen schmieden zu können. Die Delegierten auf dem ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) -Bundeskongress vom 20. – 26.09.2015 verabschiedeten die folgenden beiden Resolutionen:

1.Griechenland – keine Gefahr, sondern eine Chance für Europa

Der Bundeskongress beschließt:
ver.di erklärt sich solidarisch mit der Bevölkerung in Griechenland und unterstützt  das Bestreben, einen Politikwechsel gegenüber der bisherigen desaströsen Austeritätspolitik einzuleiten. Das aufgezwungene dritte „Memorandum“, das im Juli 2015 vereinbart wurde und im August in Kraft getreten
ist, hat allerdings dieses Bestreben weitgehend zunichte gemacht. Es kann  und darf in einem demokratischen Europa auf Dauer keinen Bestand haben.

ver.di fordert die deutsche Bundesregierung und die Verantwortlichen in
den europäischen Institutionen dazu auf, die perspektivlose Kürzungspolitik
und verordneten „Strukturreformen“ endlich zu beenden. Diese Politik ist
offenkundig gescheitert. Statt die Krise zu überwinden, hat sie Not und
Elend über die Bevölkerung gebracht und viele in Jahrzehnten erkämpfte
Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vernichtet. Geholfen
hat es nicht – in Griechenland und anderen von der Krise besonders betroffenen
Ländern wurde die Krise mit dieser Politik nicht überwunden,
sondern erheblich verschärft. Die Arbeitslosigkeit erreichte Rekordhöhen
und die Schulden stiegen weiter. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von über
50 Prozent, wie es in Spanien und Griechenland der Fall ist, gibt es für
junge Menschen keine Zukunft.

Anstatt weiterhin überwiegend die Schulden zu bedienen, müssen die finanziellen
Hilfen an Griechenland in ein Investitions- und Aufbauprogramm
fließen – einen Marshall-Plan, wie ihn die deutschen Gewerkschaften seit
Jahren fordern, mit Investitionen in nachhaltige Energieerzeugung, in die
Reduktion des Energieverbrauchs, in nachhaltige Industrien und Dienstleistungen,
in Bildung und Ausbildung, in Forschung und Entwicklung, in
moderne Verkehrsinfrastruktur, emissionsarme Städte und Gemeinden, in
die Effizienz der öffentlichen Verwaltungen.

Bei der Belastung durch Schulden braucht Griechenland Erleichterung, wie
dies aktuell auch im Fall der Ukraine gewährt und wie es sogar vom IWF
während der letzten Verhandlungsrunde ins Spiel gebracht wurde. Der
Schuldendienst müsste an die wirtschaftliche Entwicklung des Landes gekoppelt
werden. Der radikale Abbau von Arbeitnehmerrechten, die skandalösen
Eingriffe in die Tarifautonomie und die Kürzung des gesetzlichen Mindestlohns müssen dringend rückgängig gemacht werden. Diese Maßnahmen haben nicht zu Wachstum und Arbeitsplätzen geführt, sondern die Armut und die Ungerechtigkeit im Lande vergrößert. Die Kürzungen im Sozialsystem und in der Gesundheits-versorgung haben humanitäre Notlagen verursacht und zu einer erheblichen Verschlechterung der Lebensqualität für viele Menschen beigetragen. Perspektivlosigkeit, Zukunftsängste und Verarmung schaffen dabei oft auch einen Nährboden für rechte Bewegungen und Parteien.

Statt einer Schrumpfkur der öffentlichen Daseinsvorsorge und des Ausverkaufs
öffentlichen Eigentums braucht Griechenland ausreichend Unterstützung
auch bei der Bewältigung von Aufgaben in europäischem Interesse,
wie insbesondere in der Flüchtlingspolitik. Statt marktgläubiger Deregulierung, Privatisierung und Entstaatlichung braucht es ein Modernisierungsprogramm, das insbesondere die öffentliche Verwaltung einbezieht – hier kann die EU unterstützen
statt zu sanktionieren! Durch mehr und gezielt geschultes Personal kann etwa der Vollzug der Steuergesetze gewährleistet, Steuerflucht unterbunden und bereits hinterzogene Steuern eingetrieben werden. Durch eine Steuerreform sind ungerechtfertigte Steuerprivilegien wie für Reedereien aufzuheben und die Reichen und Vermögenden stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen – nicht nur in Griechenland!

Um die Krise nachhaltig zu überwinden, müssen auch in der EU Reformen
vorangebracht und die grundsätzliche Ausrichtung der europäischen Politik
verändert werden. ver.di fordert daher, den neoliberalen Kurs der EU zu
beenden. Die EU darf nicht dafür stehen, dass Länder in die kollektive
Armut gedrängt werden, dass Arbeitnehmerrechte geschwächt statt gestärkt,
dass Sozialsysteme abgebaut statt ausgebaut werden. Statt Abbau
von sozialen und demokratischen Rechten auf Kosten der Menschen tritt
ver.di für eine andere EU ein – in der Solidarität und Demokratie die Leitlinien sind und die sich Frieden, Gerechtigkeit und der Menschenwürde verpflichtet.

Die bisherige neoliberale Wirtschaftspolitik muss zu einer umfassenden Finanz-,
Wirtschafts- und Sozialpolitik weiterentwickelt werden, die nicht lediglich
auf Haushaltsdisziplin, sondern auf gesamtwirtschaftliche Stabilität
und Entwicklung abstellt. Mit Blick auf die derzeitige Politik sind dringend
erste Schritte erforderlich: Eine Währungsunion braucht eine gemeinsame
Politik, die den sozialen und wirtschaftlichen Ausgleich im Blick hat. Und
damit das Gegenteil ist von Merkels und Schäubles Plänen einer vertieften
europäischen wirtschaftspolitischen Koordinierung nach neoliberalem
Modell (Stabilitätspakt, Fiskalpakt, etc.). Die aktuellen Vorschläge zur Vertiefung
der Währungs- und Wirtschaftsunion anhand der Leitlinien Austerität,
Deregulierung und Privatisierung würden das Gegenteil bewirken – sie
würden zu einem weiteren Ausbau von Vollmachten der Exekutive und einem
Abbau der sozialen und demokratischen Rechte führen.

Ein solches Europa wollen wir nicht! Statt Abbau von sozialen und demokratischen
Rechten treten wir für ein solidarisches, demokratisches Europa ein!

Der Bundesvorstand wird dazu aufgefordert, weiterhin Solidarität mit der
griechischen Bevölkerung zu zeigen und sich gemeinsam mit gesellschaftlichen
Kräften in Deutschland und anderen Ländern für einen grundlegenden
Politikwechsel in der EU einzusetzen. Die zum Teil sehr einseitige Darstellung
seitens politischer Entscheidungsträger und die Komplexität des Themas machen es dabei notwendig, innerhalb wie außerhalb ver.dis die Aufklärung über die politischen Alternativen fortzusetzen.


2. Das griechische Volk braucht unsere Solidarität!

Der Bundeskongress beschließt:
Am 20. September 2015 finden in Griechenland erneut Wahlen statt. Hintergrund
ist die von der EU auf dem Brüsseler Gipfel Mitte Juli erzwungene
Fortschreibung des Spardiktats zu Lasten der Bevölkerung.

Im Referendum am 5. Juli hatte sich das griechische Volk abermals gegen
die EU-Auflagen ausgesprochen, die zu massiver Verarmung und Abbau
von gewerkschaftlich erkämpften Rechten geführt hatten.

Das Spar- und Umbauprogramm, das Griechenland nun unter Missachtung
des Volkswillens umzusetzen hat, bedeutet neben weiteren Forderungen
nach Rentenkürzung und Mehrwertsteuererhöhung im Kern:

• Weitere, umfassende Privatisierungen von Staatseigentum sind über
einen Privatisierungsfond unter europäischer Aufsicht abzuwickeln.

• Zentrale Gesetzentwürfe hat das griechische Parlament den
Gläubigern vorzulegen, die so die Finanz-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
mitbestimmen.

Dass diese Maßnahmen eine wirtschaftliche Gesundung und damit auch
die Fähigjkeit zur Schuldentilgung befördern, wird von namhaften Ökonomen
bezweifelt. Es drohen dagegen ein Ausverkauf der griechischen Infrastruktur
und die weitere Einmischung in die nationale Lohnpolitik sowie die
Schwächung der Tarifautonomie.

Als Gewerkschafterinnen/Gewerkschafter kann uns dies nicht gleichgültig
lassen. Wir stellen uns der Auseinandersetzung mit diesen Problemen.

Wir fordern den Bundesvorstand auf:

• den direkten Austausch mit griechischen Kolleginnen und Kollegen vor
Ort zu suchen und diese auch nach Deutschland einzuladen, um über
die weitere Entwicklung zu informieren und sie solidarisch zu unterstützen,
wie dies bereits von einigen örtlichen Gliederungen praktiziert
wird. Darüber ist angemessen zu informieren.

• Den DGB-Vorstand zu veranlassen, die Umsetzung der „Vereinbarungen“
aktiv und kritisch zu begleiten und gegenüber deutschen Regierungsvertreterinnen/-
vertretern und EU-Abgeordneten die Auswirkungen für die arbeitenden Menschen und die bereits Arbeitslosen zu verdeutlichen.
Das Ziel sollen Maßnahmen sein, die die Schuldenlast Griechenlands
mindern und das Land wieder auf einen Wachstumskurs führen.

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