Sie haben Angst. Sie brechen sogar europäisches Recht.

Mitsotakis und seine Neffe Grigoriadis, der wegen des Überwachungsskandals zurücktrat

Von Achim Rollhäuser

Am 27.03.24 haben wir unter der Überschrift „Griechenland: Rechtsstaat im Verfall“ diverse Beispiele dafür genannt, wie die griechische Regierung sich nach Belieben über ihr eigenes Recht, über ihre eigenen Gesetze hinwegsetzt.

Jetzt haben wir ein neues, ganz aktuelles Beispiel dafür, wie die Regierung auch europäisches Recht bricht. Am 15.03.24 berichteten wir über die harsche Kritik der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) und ihrer Leiterin, der Generalstaatsanwältin Kövesi, an den Ermittlungen zu dem Verbrechen von Tempi, bei dem bei dem dortigen Zugunglück 57 Menschen starben und mindestens 85, teilweise schwer, verletzt wurden. Die zuständigen Ministerien hatten die Installation von, teilweise durch die EU finanzierten, Sicherheitsanlagen jahrelang hinausgeschoben, bis es zu der „Katastrophe mit Ansage“ kam. Der EUStA, die immer, wenn es um EU-Gelder geht, tätig werden kann, wurde verwehrt, gegen die entsprechenden Minister zu ermitteln; das verstoße gegen die griechische Verfassung. Die GStAin hatte das beklagt und erklärt, dass das Ermittlungsverbot gegen europäisches Recht verstoße.

Nun hat die Regierung nachgelegt. In einem Gesetz, das eigentlich die Neuorganisation von Gerichten, Versetzungen und Besoldung von Richtern und ähnliche Fragen betrifft, hat sie einen Artikel untergebracht, der die Ermittlungen bei (von Amts wegen zu verfolgenden) Vergehen durch die EUStA aufgrund deren Zuständigkeit abschafft.

Die EUStA kann in bestimmten Fällen eigene Ermittlungen aufnehmen – so wie in Deutschland die Bundesanwaltschaft bestimmte Verfahren an sich ziehen kann. Wenn die EUStA die Ermittlungen an sich zieht, dürfen die nationalen Strafverfolgungsbehörden nicht mehr ermitteln. Die EUStA konnte in diesem Zusammenhang bisher auch selbst Zeugen vernehmen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen vornehmen sowie Festnahmen durchführen. Das wurde nun abgeschafft. Das neue Gesetz lautet:

„Die Strafverfolgung wird von der Europäischen Staatsanwaltschaft gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/1939i durchgeführt, indem der [griechische] Ermittlungsrichter beauftragt wird, die Einlassung des Beschuldigten entgegenzunehmen, und eine Anklageschrift vorgelegt wird, die alle Umstände enthält, die den objektiven und subjektiven Tatbestand der dem Beschuldigten zur Last gelegten Straftat bilden, sowie deren rechtliche Würdigung.“

Das bedeutet, dass die EUStA ein Amtshilfeersuchen an die griechische Justiz richten muss, wenn sie hier ermitteln will. Sie kann keine eigenen Ermittlungen mehr durchführen, so wie es in der EU-Richtlinie festgelegt ist; Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen führt der Ermittlungsrichter durch.

Den griechischen Ermittlungsrichter kann die Regierung kontrollieren. Es gibt viele Mittel, ihn gefügig zu machen – wenn er es nicht schon von sich aus ist –, bis zu disziplinarischen Strafen. Die EUStA ist vom griechischen Staat nicht kontrollierbar. Deshalb muss sie so weit wie möglich ausgeschaltet werden. Wahrscheinlich hatte bei Umsetzung der EU-Verordnung in nationales Recht niemand in der griechischen Regierung damit gerechnet, dass sich Ermittlungen der EUStA auch gegen die Regierung selbst und ihre Mitglieder richten könnten, so wie es jetzt bei dem Tempi-Verbrechen der Fall ist.

Es bleibt abzuwarten, ob die EU wegen des neuen Gesetzes gegen Griechenland ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet. Der Sinn der EU-Verordnung, mit der EUStA ein unabhängiges Ermittlungsorgan zu schaffen, wird jedenfalls durch das neue Gesetz konterkariert. Die Angst vor solch unabhängiger Ermittlung ist nicht zu übersehen.

i Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/1939 lautet:
Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte
Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte handeln im Namen der EUStA in ihrem jeweiligen Mitgliedstaat und haben neben und vorbehaltlich der ihnen übertragenen besonderen Befugnisse und des ihnen zuerkannten besonderen Status und nach Maßgabe dieser Verordnung in Bezug auf Ermittlungen, Strafverfolgungsmaßnahmen und Anklageerhebung die gleichen Befugnisse wie nationale Staatsanwälte. (Unterstr. durch Verf.)
Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte sind für die von ihnen eingeleiteten, für die ihnen zugewiesenen oder für die durch Wahrnehmung ihres Evokationsrechts von ihnen übernommenen Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen zuständig. Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte folgen der Leitung und befolgen die Weisungen der für das Verfahren zuständigen Ständigen Kammer sowie die Weisungen des die Aufsicht führenden Europäischen Staatsanwalts.
Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte sind ferner für die Anklageerhebung zuständig und haben insbesondere die Befugnis, vor Gericht zu plädieren, an der Beweisaufnahme teilzunehmen und die zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe gemäß dem nationalen Recht einzulegen.

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