Armut für Griechen, Tourismus für die Reichen, die Geflüchteten in den Knast

Von Isabel Armbrust
Die Blicke richten sich auf Kreta, seitdem Griechenlands rechtsextremer Migrations-Minister alle dort aus Nordafrika ankommenden Asylsuchenden inhaftieren lässt und zur Abwehr ihrer Boote sogar die Marine einsetzt. Diese eklatante Verletzung von Völker- und EU-Recht scheint auf der „Insel der Gastfreundschaft“ aber nicht zu einem Aufschrei zu führen. Im Gegenteil. AthensLive-Wire berichtet im jüngsten Newsletter vom 19. Juli von einer traurigen Beschädigung der „Seele Kretas.“ (s.u.)

AthensLive-Wire 313, 19. Juli 2025:
„Von der Zuflucht zum Urlaubsort: Kretas Verschiebung der Prioritäten
…Die Insel Kreta (…) war schon immer für ihre Gastfreundschaft bekannt. Meistens halfen die Kreter den Bedürftigen, den Fremden, den Reisenden, die sich auf ihrer Insel einfanden.
Jetzt nicht mehr. Die Interessenvertreter des Tourismus auf Kreta haben sich entschieden gegen die Pläne zur Einrichtung geschlossener Aufnahmezentren für Migranten auf der Insel ausgesprochen und vor ernsthaften wirtschaftlichen und rufschädigenden Risiken gewarnt.

In einer gemeinsamen Erklärung berichten sie, sie hätten Mails von internationalen Reisepartnern und Besuchern erhalten, die über die Situation besorgt seien. Es hätte auch schon Stornierungen und eine Verlangsamung der Buchungen gegeben. Sie behaupten weiterhin, dass der Zustrom von Migranten die Stabilität von Tausenden von Tourismusbetrieben bedroht.

„Es ist inakzeptabel, dass solche Diskussionen während der Hauptreisezeit stattfinden“, erklärten sie, nannten den Vorschlag „unvorstellbar“ und warnten davor, dass er den Tourismusstandort und den weltweiten Ruf Kretas untergraben könnte. Außerdem kritisierten sie die Behörden für die schlechte Planung und den Mangel an rechtzeitigem Handeln.

„Wir sind eindeutig gegen jede Initiative, die Kreta zu einem Ziel für die Aufnahme oder Ansiedlung von Migranten machen würde“, heißt es in der Erklärung abschließend.

Verständlich wäre eine Ablehnung von „geschlossenen Aufnahmezentren“ aus humanistischen Gründen, denn diese sind nur ein Euphemismus für Lager mit Haftbedingungen. Die „Aufnahme oder Ansiedlung von Migranten“ allerdings mit der Begründung abzulehnen, diese schade „dem Tourismus auf Kreta“, bricht dagegen mit jeder Vorstellung von Humanismus.

Die kretischen Bürgermeister plädieren für vorübergehende Unterbringungszentren für Migranten und nicht für geschlossene Haftanstalten, im Hinterkopf noch das katastrophale Schicksal des Lagers Moria auf Lesbos.

Die Reaktionen kommen zu einer Zeit, in der nach Angaben der griechischen Küstenwache in der ersten Hälfte des Jahres 2025 7.336 Flüchtlinge auf Kreta und der kleinen, nahe gelegenen Insel Gavdos angekommen sind, wie die Deutsche Welle berichtet. Fast 2.000 weitere sind im Juli angekommen. Das UNHCR nennt etwas höhere Zahlen für den Zeitraum bis zum 6. Juli.
Die DW fügt hinzu, dass es sich „lohnt, diese Zahlen mit denen aus dem Jahr 2015 zu vergleichen, als hundertmal mehr Flüchtlinge – über eine Million – auf vielen kleineren griechischen Inseln wie Lesbos und Kos ankamen.“

Eine realere Bedrohung als barfüßige Menschen

Während viele auf Kreta ihre Empörung über die Ankunft verarmter Migranten an der Küste der Insel zum Ausdruck bringen, liegt die wahre Bedrohung der Insel woanders. Die wirkliche Invasion, so argumentieren Kritiker, kommt in Form von sich ausbreitenden Fünf-Sterne-Resorts, die oft im Besitz externer Kapitalgeber und Unternehmen sind, die wenig mit der lokalen Gemeinschaft zu tun haben, geschweige denn sich für sie zu interessieren.

Diese Luxussiedlungen breiten sich rasant in einigen der wertvollsten Naturlandschaften Kretas aus und zerstören nicht nur die Umwelt, sondern auch die kulturelle Identität der Insel und untergraben die lokale, kleinteilige Wirtschaft.

Wie das Portal Argophilia (https://www.argophilia.com/news/the-vanishing-paradises-of-crete/243363) berichtete, wurde Kreta Anfang Juli von zwei schweren „Schlägen“ getroffen:

Am 26. Juni genehmigte der Umweltausschuss Pläne für ein Fünf-Sterne-Hotel mit 600 Betten in Triopetra, Rethymno – einem Ort, der einst von Meer, Felsen und Stille geprägt war.

Das zweite Projekt ist für Skouros in der Nähe von Keratokampos in Viannos geplant: ein Luxuskomplex mit einem 5-Sterne-Hotel, Villen, Spas und sogar einem „Bio-Garten“, der den lokalen Charme nachahmen soll. Die Anlage wird mit Schlagwörtern wie „Nachhaltigkeit“ und „Wellness“ beworben, aber einige Einheimische sehen darin eine Parodie auf Authentizität.
Im Hintergrund erhebt sich derweil das 500 Millionen Euro teure All-inclusive-Resort Ikos Kissamos.

Der Süden Kretas ist vom Massentourismus bisher weitgehend unberührt geblieben. Es ist einer der letzten Orte, an denen die Natur die Oberhand hat, die Einheimischen in der Überzahl sind und das Leben im Rhythmus von Land und Meer verläuft. „Das ist es, was auf dem Spiel steht,“ so Argophilia.
Die „Invasion“ des Megatourismus kommt zu einer Zeit, in der der größte Teil Kretas (die Präfekturen Chania, Heraklion und Lasithi, nur Rethymnon ist nicht eingeschlossen) nach Angaben des nationalen griechischen Wetterdienstes Meteo von der größten Dürre betroffen ist (Stufe 4 und 5 auf einer fünfstufigen Skala).

Es ist den Kretern gelungen, sich zusammenzuschließen und mit aller Härte vorzugehen – gegen Migranten und nicht gegen „Investoren“
Die Seele der Insel Kreta ist bereits zerstört.

Europas „Kellner“

Laut Eurostat-Daten kann sich jeder zweite Grieche bzw jede zweite Griechin nicht einmal einen einwöchigen Urlaub leisten. Wie keeptalkinggreece.com (https://www.ekathimerini.com/in-depth/society-in-depth/1275381/ferry-ticket-costs-in-greece-among-highest-in-europe-study-finds/)
berichtet, weist Griechenland in Europa den zweithöchsten Anteil der Bevölkerung auf, der nicht einmal eine Woche Urlaub machen kann.
An erster Stelle steht Rumänien und an dritter Bulgarien. Tatsächlich ist der Prozentsatz in Griechenland (46 %) fast doppelt so hoch wie in im Durchschnitt der Europäischen Union (27 %).
„In der Tat ist das Land in einer schlechteren Position als 2023, da es von Platz 4 auf Platz 2 geklettert ist“, so keeptalkinggreece.

Die Griechen wurden in ihrem eigenen Land von ihrer eigenen Sonne und ihrem eigenen Meer, ihrem eigenen Sommer verdrängt.
Eine Studie der Tageszeitung Kathimerini (https://www.ekathimerini.com/in-depth/society-in-depth/1275381/ferry-ticket-costs-in-greece-among-highest-in-europe-study-finds/) hat ergeben, dass Fährreisen in Griechenland pro Seemeile deutlich teurer sein können als vergleichbare Strecken in Nord- und Südeuropa, insbesondere auf den schnellen und kurzen Verbindungen zwischen beliebten Ägäisinseln.

In der Untersuchung wurden die Fährpreise für eine Hin- und Rückfahrt für drei Erwachsene und ein Auto auf verschiedenen europäischen Strecken verglichen. „Während die Ticketpreise in wohlhabenderen Ländern wie Frankreich, Spanien und den Niederlanden im Allgemeinen im Verhältnis zur Entfernung erschwinglich waren, waren die griechischen Inselrouten – insbesondere diejenigen, die von schnellen Fähren bedient werden – unverhältnismäßig teuer“, heißt es in dem Bericht.

Ein krasses Beispiel wurde auf den Kykladen deutlich: eine Hin- und Rückfahrt zwischen Ios und Naxos kann bis zu 478,60 € für die beispielhafte Gruppe von 3 Erwachsenen kosten, oder 10,6 € pro Meile – weit mehr als längere europäische Strecken wie von Cherbourg in Frankreich zum irischen Hafen Rosslare (1,4 €/Meile) oder Barcelona nach Ibiza (0,5 €/Meile) in Spanien.

Die Abgeordneten der Opposition gaben zu bedenken, dass die Fährtarife von 2019 bis 2025 um 43 % gestiegen sind, was weit über der kumulierten Inflation (18 %) liegt, und forderten eine bessere Überwachung und mehr Fairness.

Die Fährtarife sind jedoch nur ein Teil des Puzzles. Die Griechen werden zunehmend von ihrem eigenen Sommer ausgeschlossen, da der Lebensstandard trotz optimistischer offizieller Prognosen eines BIP-Wachstums von 2,3 % im Jahr 2025 und 2,0 % im Jahr 2026 (gegenüber 2,2 % im Jahr 2024) weiterhin stark sinkt.“

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