
Seit dem Ende der Junta-Diktatur 1974 und der erneuten Abschaffung der Monarchie gibt es in Griechenland einen Staatspräsidenten (es gab Vorläufer, die aber historisch zu vernachlässigen sind). Seit einer Verfassungsänderung 1986 hat das Amt nur repräsentativen Charakter, ähnlich wie in Deutschland. Trotzdem: Traditionell musste die/er Staatspräsidentin auch von Teilen der Opposition mitgewählt werden, repräsentierte dadurch einen größeren Teil der Griech*innen. Die Tsipras-Regierung hatte in diesem Sinne 2015 einen Politiker der Nea Dimokratia zum Staatspräsidenten gemacht. Auch die Wahl von Katerina Sakellaropoulou, der derzeitigen Staatspräsidentin, entspricht der Tradition der Überparteilichkeit. Sie war nie Mitglied einer Partei.
Diese Tradition beendete Kyriakos Mitsotakis. Er ließ gesetzlich festschreiben, dass in einem dritten Wahlgang eine einfache Mehrheit (statt wie vorher 3/5 aller Abgeordneten) für die Wahl zum Staatspräsidenten reicht. Dadurch kann jede regierende Partei eine Person aus ihren eigenen Reihen zum Staatspräsidenten machen. Gestern nun schlug Mitsotakis offiziell Konstantinos Tasoulas als Staatspräsidenten vor, der seit 2019 „sein“ Parlamentspräsident ist, von seiner Partei Nea Dimokratia. Und der wohl spätestens im dritten Wahlgang gewählt werden wird. Es ist ein Bruch der Tradition, durch die die Person der/s Staatspräsidentin ein breiteres Spektrum der Griech*innen repräsentiert hat. Und es ist ein neues Puzzlestück der Orbanisierung, die Mitsotakis seit Beginn seiner Amtszeit als Ministerpräsident betreibt.
Das autoritäre System Mitsotakis missbraucht die Justiz in unzähligen gesellschaftlichen Bereichen. Sehr deutlich wurde dies gerade bei der mangelhaften juristischen Verfolgung des furchtbaren Zugunglücks bei Tempi mit 58 Toten.
Bei Korruptionsskandalen gehen diejenigen, die bestochen haben, frei aus. Beispiel: der Siemens-Prozess. Die Whistleblower und sogar die Staatsanwälte werden verfolgt und vor Gericht gestellt – Beispiel: die Novartis-Prozesse.
Der Missbrauch der Justiz ist für Geflüchtete noch extremer als in anderen Bereichen.
Sowohl Geflüchtete als auch Flüchtlingshelfer werden planmäßig kriminalisiert. Dafür werden immer neue Wege erfunden, die Justiz zu manipulieren.
Mitsotakis bekämpft alle Behörden, deren gesetzlicher Auftrag es ist, die Macht demokratisch zu kontrollieren (die Datenschutzbehörde, die Behörde zum Schutz der Kommunikation und den Ombudsmann).
Sobald er Regierungschef wurde, unterstellte Mitsotakis den Geheimdienst sich persönlich. Kontrolleur des Geheimdienstes wurde sein Stabschef, seine zweite Hand, sein eigener Neffe. Mitsotakis ließ nicht nur seine Kritiker, sondern auch die höchsten Militärs und Minister seiner eigenen Regierung, die Ehefrauen der Minister, seine eigene Tante usw. überwachen. Es gibt dafür keinerlei justizielle Verfolgung.
Ein weiterer Aspekt der Entdemokratisierung ist die Zunahme staatlicher repressiver Gewalt.
Unmenschliche Zustände in den meisten Gefängnissen existieren schon lange, aber die Situation hat sich noch verschlechtert. Übermäßige Polizeigewalt hat ebenfalls zugenommen. Sie richtet sich gegen Oppositionelle und andere, bis hin zu Folter und zum Erschießen unbewaffneter Jugendlicher. Übermäßige Polizeigewalt wird so gut wie nie bestraft.
Die wehrloseste Gruppe in Griechenland sind die Geflüchteten. Der Angriff auf sie ist der brutalste. Es geht um billigendes Inkaufnehmen, dass Geflüchtete ertrinken oder sogar um Töten, durch brutale Misshandlungen, durch Schusswaffen, durch ertrinken lassen.
Es gibt Geheimgefängnisse an Land und auf Fähren, unzählige illegale Inhaftierungen, Gefängnisse mit perverser Megaüberwachung – bezahlt von EU-Geldern.
Aber nicht nur das Wahlverfahren, auch die Person, die Mitsotakis jetzt auf den Posten des Staatspäsidenten hievt, ist ein weiteres Puzzlestück der Orbanisierung.
Wir schrieben oben von dem Zug-Verbrechen von Tempi. Maria Karystianou, Mutter einer jungen Frau, die bei Tempi umkam und bekannte Sprecherin der Angehörigen der Opfer, schrieb, sie sei fassungslos gewesen, als sie hörte, dass Tasoulas Staatspäsident werden soll. Er habe als Parlamentspräsident mit einer Reihe von Aktionen dafür gesorgt, die Verantwortung von Politikern für das Zug-Verbrechen zu vertuschen. (1)
Yannis Varoufakis nannte heute sieben Beispiele, wie Konstantinos Tasoulas sich schon lange bei vielen Themen als Funktionär des Systems Mitsotakis betätigte:
Hier kann man die Äußerungen von Varoufakis nachlesen (auf griechisch – aber automatisch übersetzbar):
https://mera25.gr/ektos-voulis-o-k-tasoulas-ypopsifios-gia-proedros-tis-dimokratias/
Anmerkung
(1) https://www.efsyn.gr/politiki/kybernisi/459723_karystianoy-emeina-anaydi-akoygontas-onoma-toy-tasoyla-gia-ptd#goog_rewarded

