
Von Achim Rollhäuser
Wir haben in den letzten Wochen und Monaten regelmäßig über die fortschreitende Zerstörung des Rechtsstaats in Griechenland durch die Regierung von Ministerpräsident Mitsotakis und die von ihr – tatsächlich und/oder ideologisch –geleiteten staatlichen Organe berichtet (z. B. Sie haben Angst. Sie brechen sogar europäisches Recht., Staatsterror Verfahrensverschleppung, Griechenland: Rechtsstaat im Verfall, Moria-Prozess: tiefster Keller einer rassistischen Justiz, Europäische Ombudsfrau: „Sechshundert Menschen ertrinken, aber kein Notruf erfolgt. Hält Europa so die Migranten ab?“). Heute wenden wir uns der Frage zu, ob es in der Bundesrepublik um rechtsstaatliche Garantien viel besser bestellt ist.
Wenig bekannt ist in Deutschland, dass es Yanis Varoufakis, Kandidat bei der Europawahl und Parteivorsitzender von MeRa25/Diem25, verboten worden war, nach Deutschland einzureisen, um am 12. April in Berlin beim u. a. von MeRa25 und der Jüdischen Stimme für den Frieden veranstalteten Palästina-Kongress zu sprechen. Wir berichteten darüber (Palästina Kongress Rede von Yanis Varoufakis, von der deutschen Polizei verboten). Bei dem Kongress ging es im Kern darum, einen Dialog darüber zu führen, was zu tun sei, um zu einer Verständigung zwischen den Völkern Israels und Palästinas zu gelangen und in Zukunft gleiche politische Rechte für alle Menschen zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer zu gewährleisten.
Es wurde Varoufakis nicht nur die Einreise untersagt, sondern ihm auch verboten, sich in irgendeiner anderen Weise in Deutschland politisch zu betätigen. Auch dem britischen Chirurgen Ghassan Abu-Sittah war auf dem Flughafen Berlin die Einreise verweigert worden. Weder Varoufakis, immerhin EU-Bürger, noch Abu-Sittah erhielten für das Einreise-, Rede- und Betätigungsverbot eine Begründung.
Varoufakis‘ Anwalt hat von der Polizei, die das Verbot ausgesprochen hat, Auskunft verlangt. Er wollte wissen, was seinem Mandanten vorgeworfen werde. Nachdem er zunächst die Zusicherung erhielt, er werde einen schriftlichen Bescheid auf drei von ihm gestellte Fragen erhalten (Welche Behörde hat das Verbot erlassen? Wann? Aus welchen Gründen?), wurde dem Anwalt schließlich die Auskunft erteilt, dass die Fragen nicht beantwortet würden. Zur Begründung berief man sich auf die „nationale Sicherheit“ und weil jede Antwort die „ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Bundespolizei und anderer mit dem Fall befasster Sicherheitsdienste“ beeinträchtigen würde (Zeitung der Redakteure (EfSyn) vom 09.05.24, Klage von Yanis Varoufakis gegen den deutschen Staat).
MeRa25 erklärt dazu laut EfSyn, dass es sich hier um „ungeheuerliche Verstöße gegen jeden Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit in einem Europa, das immer tiefer in den Totalitarismus versinkt“ (Diem25, Yanis Varoufakis sues the German state) handele.
Die EfSyn hat im Artikel vom 9. Mai so zusammengefasst: „Mit der Berufung auf die „nationale Sicherheit“ zur Rechtfertigung ihres Abgleitens in den Totalitarismus und der uneingeschränkten Unterstützung des „Rechts“ Israels, den Völkermord an den Palästinensern unbehelligt fortzusetzen, haben die deutschen Staatsorgane im Wesentlichen sowohl den deutschen Rechtsstaat als auch das wichtigste Prinzip der EU – die Freizügigkeit und die politische Betätigung der europäischen Bürger in allen Teilen der EU – abgeschafft.“
Von MeRa25 heißt es dazu: „Der Mitsotakismus hat sich nun auch auf die vermeintlich bevorzugten Länder des europäischen Nordens ausgedehnt, deren Behörden nicht nur die Grundfreiheiten verletzen, sondern ihnen nach dem Vorbild von Herrn Mitsotakis das Recht der Bürger, zu erfahren, warum sie beschuldigt werden, warum sie überwacht werden, warum ihnen die politische Betätigung und die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union untersagt wird, vollständig egal ist.“
Nun war die Bundesrepublik nie ein Staat, in dem Meinungsfreiheit oder die Freiheit politischer Betätigung einen besonders hohen Stellenwert gehabt hätten. Das Verbot der KPD 1956 zum Beispiel, die Berufsverbote der 70er und 80er Jahre oder Strafparagraphen betreffend die „Verunglimpfung des Staats und seiner Symbole“ (§ 90a StGB) sind eines demokratischen Rechtsstaats unwürdig. Dass aber jetzt einem Politiker und EU-Bürger, der sich nichts Strafbares hat zuschulden kommen lassen, der Mund verboten wird, er nicht einreisen darf und er für diese Verbote noch nicht einmal eine Begründung erhält, zeigt, wie wenig rechtsstaatliche Grundsätze in Deutschland noch wert sind. Aber mit dem Finger auf Ungarn zeigen…

