Deutschland ist der größte Schuldner Europas

Stopp G7 in Lübeck am 14./15. April in Lübeckhttp://stop-g7-luebeck.info/
Deutschland ist der größte Schuldner Europas
AK-Distomo
———————————————————————————

Frank-Walter Steinmeier wird beim Treffen der Außenminister der „Gruppe
der Sieben“ (G 7) – der Staaten, die sich selbst die „sieben wichtigsten
Industriestaaten“ nennen – deren Verantwortung für die Weltwirtschaft,
die Sicherheitspolitik und den Weltfrieden betonen. Tatsächlich wird mit
gigantischem Aufgebot verschleiert, wer sich der (geschichtlichen)
Verantwortung entzieht. Es wird mit den Fingern auf Griechenland
gezeigt. Dabei ist Deutschland der größte Schuldner in Europa.

Nazi-Deutschland hat in zwölf Jahren mehr Unheil angerichtet, als es in
70 Jahren hätte wieder gutmachen können. Nur ein verschwindend geringer
Bruchteil der im Pariser Reparationsabkommen von 1946 festgelegten
Zahlungen ist an die während des Zweiten Weltkrieges überfallenen Länder
geleistet worden. Der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin
des faschistischen Deutschen Reichs fehlt(e) zur Zahlung schon der
Wille. Bundesaußenminister Steinmeier nutzt aktuell die öffentliche
Aufmerksamkeit, wenn er die Debatte über Reparationen „politisch
gefährlich“ und Entschädigungsansprüche für erledigt hält. Eine schäbige
Haltung nach dem Grundsatz: Krokodilstränen – ja, aber das Geld bleibt hier!

Für die vielen tausend zivilen Opfer der von SS und Wehrmacht begangenen
Massaker wird jede Zahlungsverpflichtung bis heute zurückgewiesen.
Deutschland beruft sich auf Staatenimmunität für NSKriegsverbrechen. Die
zivilen Opfer des NS-Terrors haben nach dieser Ansicht kein Recht, die
Bundesrepublik Deutschland in ihren Ländern auf Entschädigung zu
verklagen. Den Klagen in Deutschland wurde von den Gerichten
entgegengehalten, die Massaker seien Kriegshandlungen gewesen und Krieg
sei ein Ausschlussgrund für staatliche Haftung.

Griechenland hat einen Rechtsanspruch auf Zahlung von Reparation und
Rückzahlung der Zwangsanleihe

Es ist paradox. Griechenland braucht Geld. Dabei hat es Guthaben. Das
Guthaben liegt in Deutschland und – als deutsches Staatseigentum im
Ausland – in verschiedenen (europäischen) Ländern. Deutschland schuldet
Griechenland seit ca. 70 Jahren eine Summe, die aktuell vom griechischen
Parlament auf 278,7 Milliarden EUR beziffert worden ist (vgl.
ZEIT-Online 07.04.2015).

Es handelt sich zum einen um die Zahlungsverpflichtungen der auf der
Pariser Reparationskonferenz von 1946 festgelegten Reparationen, damals
7,2 Milliarden US-Dollar. Die Bundesregierung behauptet, die
Reparationen seien bereits im Rahmen eines „Globalabkommens“ in den 60er
Jahren gezahlt worden. Im deutsch-griechischen Vertrag vom 18. März 1960
war vereinbart worden, dass die Bundesrepublik Deutschland 115 Millionen
DM „zugunsten der aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der
Weltanschauung von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen
betroffenen Staatsangehörigen“ an Griechenland zahlt. Diese Zahlung
erfolgte für die grausame Verfolgung der griechischen Juden. Allein in
Thessaloniki starben ca. 50.000 Menschen jüdischen Glaubens durch Mord
und Deportation. Die Zahlung aus dem sog. „Globalabkommen“ hatte nichts
mit den Verpflichtungen zur Reparationszahlung zu tun. Das ergibt sich
schon aus dem Wortlaut des Vertrages. Die 1946 bestimmte
Reparationssumme wurde bis heute nicht gezahlt.

Deutschland schuldet Griechenland außerdem die Rückzahlung der sog.
„Zwangsanleihe“. 1942 wurde die Bank von Griechenland von den
NS-Besatzern gezwungen, ihre Devisenreserven abzugeben. Bei Kriegsende
betrug die Summe – nach Angaben des Auswärtigen Amtes des Deutschen
Reiches aus April 1945 – 476 Millionen Reichsmark und sollte nach
Beendigung des Krieges zurückgezahlt werden. Die Rückzahlung der
Zwangsanleihe ist keine Zahlung von Reparationen, sondern eines
Darlehens. Gezahlt wurde nichts.

Die griechischen NS-Opfer haben einen Rechtsanspruch auf Zahlung von
Entschädigungen, die nicht mit Reparationsansprüchen verrechnet werden
dürfen

Völlig unabhängig von Reparationen und Zwangsanleihe schuldet
Deutschland Entschädigung für die während der Besatzung begangenen
NS-Massaker, denen mindestens 30.000 Menschen zum Opfer gefallen sind.
Es wurde nicht nur gemordet, sondern ganze Ortschaften zerstört,
tausende von Existenzen vernichtet. Für diese Verbrechen wurde an die
Überlebenden und die Angehörigen der Ermordeten bis zum heutigen Tag
kein Cent gezahlt.

Die Überlebenden und Angehörigen des griechischen Dorfes Distomo, das in
jährlichen Zeremonien noch heute der 218 Opfer des NS-Massakers vom 10.
Juni 1944 gedenkt, klagten in Griechenland eine Entschädigungssumme von
28 Millionen Euro ein. Spätestens seit Rechtskraft des Urteils im Jahr
2000 ist die Summe zu verzinsen. Doch Deutschland zahlt nicht. Die
Gläubiger aus Distomo betreiben die Vollstreckung ihrer Ansprüche in
deutsches Staatseigentum inzwischen in Italien – gegen den hinhaltenden
deutschen Widerstand. Doch in einem Parallelverfahren hat das
italienischen Verfassungsgericht im Oktober letzten Jahres die Position
der NS-Opfer gestärkt.

Die Vollstreckung gegen deutsches Staatseigentum ist auch in
Griechenland möglich

Die rechtskräftig festgestellten Entschädigungsforderungen könnten auch
in Griechenland selbst vollstreckt werden. Gleich nach Rechtskraft im
Jahr 2000 hatte der Athener Anwalt Ioannis Stamoulis das
Goethe-Institut, das deutsche Archäologische Institut und die deutschen
Schulen in Athen und Thessaloniki gepfändet, um die Liegenschaften zu
Gunsten der Gläubiger aus Distomo zu versteigern. Doch 2001 war die
Realisierung der Ansprüche an der fehlenden Zustimmung des
Justizministers gescheitert, nachdem Berlin gedroht hatte, die Aufnahme
Griechenlands in die Euro-Zone zu verhindern. Nur darum – und nicht um
die Reparationsfrage – ging es bei der Verlautbarung des jetzigen
griechischen Justizministers Paraskevopoulos Anfang März. Anders als
sein Vorgänger wollte er die deutsche Position der Staatenimmunität für
NS-Kriegsverbrechen nicht teilen. Soweit der griechische
Ministerpräsident Tsipras im März in Berlin erklärt hat, unter seiner
Regierung werde es in Griechenland keine Vollstreckung in deutsches
Staatseigentum geben, scheint diese Position innerhalb des
Regierungslagers höchst umstritten zu sein. Es ist zu hoffen, dass
Griechenland sich nicht erneut deutschem Druck beugt, sondern sich
uneingeschränkt für die Rechte der NS-Opfer einsetzt.

Der 2+4-Vertrag kann die Entschädigungsansprüche der NS-Opfer nicht
vernichten

Die Haltung des Justizministers ist eine Selbstverständlichkeit, die
Deutschland deshalb so sehr fürchtet, weil das Beispiel Distomo Schule
machen könnte. Um dem vorzubeugen, hat die Bundesregierung nun
behauptet, mit dem 2+4-Vertrag habe sich die Reparationsfrage erledigt –
weil sie in diesem Vertragswerk nicht geregelt sei (!). Die
Argumentation ist rechtlich abwegig und moralisch verwerflich.

In den letzten Jahren sind Bundespräsident Gauck, Außenminister
Steinmeier und der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz,
an die Orte der größten NS-Massaker gereist (Oradour ,
Sant’Anna di Stazzema , Lyngiades ) und haben die
deutsche Schuld teils in bewegenden Worten beteuert. Doch mit der
Behauptung, der 2+4-Vertrag vom 12. September 1990 wirke als Vertrag zu
Lasten Griechenlands und vernichte auch die Entschädigungsansprüche der
Geschädigten, beweisen sich die schönen Worte als reine
Lippenbekenntnisse und wirken als Verhöhnung der Opfer der
faschistischen Untaten.

Abgesehen davon, dass Verträge zu Lasten Dritter – Griechenland war
nicht Vertragspartner – im Vertragsrecht (auch im Völkervertragsrecht)
unwirksam sind, handelt es sich bei den Entschädigungsforderungen der
Opfer der NS-Terrorherrschaft in Griechenland nicht um
Reparationsforderungen, sondern um individualrechtliche Forderungen, die
jede/r einzelne Betroffene gegen den deutschen Staat erheben kann, ohne
von völkerrechtlichen Vereinbarungen begrenzt zu sein.

Die Durchsetzung der Entschädigungsansprüche gegen Deutschland fördert
den Frieden

Der AK Distomo sieht in der Ankündigung der Zulassung der Vollstreckung
von rechtskräftig bestehenden, individuellen Entschädigungsansprüchen
keinen Affront gegen Deutschland, sondern einen Akt der Gerechtigkeit
und eine Warnung an heutige Kriegstreiber, dass Völkerrechtsverbrechen
und Verbrechen gegen die Menschheit nicht mit noch so gefälligen Worten
erledigt werden können, sondern der Schädiger – so mächtig er inzwischen
sein mag – auch finanziell für das angerichtete Unrecht gerade stehen
muss und das auch noch nach 70 Jahren.

Sofortige Entschädigung aller griechischen Opfer des Nationalsozialismus!
Nazi-Verbrechen nicht vergeben, den antifaschistischen Widerstand nicht
vergessen!
Gemeinsamer Kampf gegen den wiedererstarkenden Faschismus in Europa!

[Kontakt: Rechtsanwalt Martin Klingner Tel. 040-4396001 oder 040-4396002 oder
0162-1698656]

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Kriegsschuld veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar