EU-Generalstaatsanwältin in Athen: „Finanzkriminalität kann tödlich sein“

Laura Kövesi. Fotot: AGERPRES, cropped by Ionutzmovie – YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=u0dhLmUmEso – Archivierte Versionen ansehen/speichern auf archive.org und archive.today, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=55988916

Von Isabel Armbrust
Ermittlungen der europäischen Staatsanwaltschaft EPPO ist es zu verdanken, dass 2025 der jahrelange und millionenschwere Subventionsbetrug durch die griechische Agrarbehörde OPEKEPE und durch ehemalige Landwirtschaftsminister öffentlich wurde. Die EPPO (European Public Prosecutor’s Office) ist für die Ermittlung, Verfolgung und Anklageerhebung bei Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU zuständig.
Doch in Griechenland gibt es Beschränkungen für deren Tätigkeit, die laut EPPO nicht mit EU-Recht konform sind (1). Das betrifft vor allem den Artikel 86 der griechischen Verfassung, demzufolge nur das Parlament befugt ist, gegen aktuelle oder ehemalige Minister
eine Strafanzeige zu stellen (2). So konnte die EPPO weder gegen die für den OPEKEPE-Subventionsbetrug verantwortlichen Ex-Minister noch im Falle des verschleppten Einbaus des europäischen Zugsicherungssystems, geregelt im Vertrag „717“ von 2014, wirksam vorgehen.(3) Bei einer Pressekonferenz in Athen am 1. Oktober mahnte die Chefanklägerin der Europäischen Staatsanwaltschaft Laura Kövesi daher dringend Reformen an.

Mehr dazu lesen Sie in folgendem Beitrag von Athenslive Wire 323 (4):

>Finanzkriminalität kann tödlich sein. Tempi ist ein solcher Fall.
Die Europäische Generalstaatsanwältin Laura Kövesi richtete während ihres Besuchs in Athen eine strenge Botschaft an die griechische Regierung. Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag forderte sie eine Verfassungsreform, strengere Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung und entschlossenes Vorgehen gegen das organisierte Verbrechen.

Kovessi konzentrierte sich auf Artikel 86 der griechischen Verfassung, den sie als „Behinderung der Justiz“ und als Widerspruch zum europäischen Recht bezeichnete. Sie forderte die griechischen Gesetzgeber nachdrücklich auf, die Bestimmung zu ändern, und warnte: „Ändern Sie die Verfassung, dann wird so etwas nicht wieder vorkommen.“ Kovessi betonte, dass ohne eine solche Reform die Strafverfolgung von Politikern nach nationalem Recht weiterhin blockiert bleibe. Dies betrifft den OPEKEPE-Skandal um Agrarsubventionen und den Vertrag 717 im Zusammenhang mit der Tempi-Katastrophe.

→ Korruption und Rechenschaftspflicht

Kövesi ging auf die Kritik ein, dass die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) die griechische Regierung ins Visier nehme. Sie wies diese Behauptungen als „Fake News“ zurück und betonte, dass die EPPO unabhängig und unter strenger Aufsicht Luxemburgs arbeite. Sie betonte: „Justiz ist keine Reality-Show. Wenn Sie helfen wollen, bringen Sie keine Zeugen ins Fernsehen.“

Sie beschrieb den Fall der Agrarsubventionen von OPEKEPE als symbolisch für systemische Korruption. „Jahrelang stahlen Kriminelle mit Hilfe von Beamten europäische Gelder, die eigentlich zur Unterstützung von Landwirten gedacht waren, und bezahlten damit keine Villen und Autos. OPEKEPE wurde zum Akronym für die Forderung nach einer ‚Säuberung der Augiasställe‘.“

→ Operation Calypso und organisierte Kriminalität

Kövesi nannte die Operation Calypso, eine groß angelegte Untersuchung zu Zollbetrug, als einen der Hauptgründe für ihren Besuch. Sie gab bekannt, dass es sich um eine der größten Beschlagnahmungen in Europa handelt – Tausende Container im Wert von 250 Millionen Euro – und warnte kriminelle Netzwerke: „Die Spielregeln haben sich geändert; es gibt keinen Zufluchtsort für euch.“ Sie betonte, dass die Operation einen wachsenden Bereich der organisierten Kriminalität aufdecke, an dem insbesondere Gruppen aus Drittländern, vor allem aus China, beteiligt seien, und forderte koordinierte Maßnahmen in der gesamten EU.

→ Zu Tempi

In Bezug auf die Eisenbahntragödie von Tempi und den damit verbundenen Fall 717 beschrieb Kovessi den Rechtsprozess als durch Artikel 86 behindert und drückte ihr tiefes Bedauern aus: „Die einzige Möglichkeit, die Wunde zu heilen, ist, dass die Justiz Erfolg hat. Aufgrund von Artikel 86 ist dies jedoch nicht geschehen.“ Sie sprach den Familien der Opfer ihr Beileid aus.

Die vielleicht wichtigste Aussage von Laura Kövesi auf der Pressekonferenz war folgende: „Finanzkriminalität kann tödlich sein. Tempi ist einer dieser Fälle.“<

Anmerkungen

(1) www.eppo.europa.eu/en/media/news/alleged-misuse-eu-agricultural-funds-eppo-submits-information-to-hellenic-parliament?etrans=de
(2) www.verfassungen.eu/griech
(3) Allerdings darf die EPPO in diesem Fall, so wie es ihr Zuständigkeitsrahmen vorsieht, ausschließlich wegen „möglicher Schäden für die finanziellen Interessen der EU“ ermitteln. Der Vertrag 717 betrifft die Aufrüstung des Signalsystems sowie die Fernsteuerung der Eisenbahnstrecke Athen – Thessaloniki – Promachona mit EU-Geldern. Der fristgerechte Einbau des Zugsicherungssystems hätte womöglich die tödliche Zugkatastrophe von Tempi im Jahr 2023 verhindern können. https://euractiv.de/news/zugunglueck-in-griechenland-eu-staatsanwaltschaft-untersucht-vertraege/
(4) https://steady.page/de/athenslivegr/posts/d75c187c-915b-4df5-854b-3c1ac460e3c8

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