Tsipras stellte heute im Parlament die Vertrauensfrage gegen den Ministerpräsidenten Mitsotakis.

Gestern hatte der Richter Christos Rammos, Präsident der Behörde für den Schutz der Privatsphäre und der Kommunikation (ADAE), Tsipras und die anderen Vorsitzenden der Parteien im Parlament, den Parlamentspräsidenten und den Justizminister darüber informiert, was die Recherche der ADAE beim Telefonanbieter COSMOTE ergeben hatte. Heute machte Tsipras die Enthüllungen in seiner Rede im Parlament öffentlich. Der Mitsotakis-Apparat hatte versucht, diese Recherche zu verhindern, aber Rammos war standhaft geblieben. (1)
Rammos hatte die Initiative gehabt, gestern die Amtsträger zu informieren – so wie es im Gesetz vorgeschrieben ist. Allerdings wäre ein weniger mutiger und seiner Verantwortung als Hüter der Demokratie weniger bewusster Amtsträger wohl nicht diesen Schritt gegangen. Christos Rammos hat fast 40 Jahre als Jurist im Staatsdienst gearbeitet. Bevor er Präsident der Behörde für den Schutz der Privatsphäre und der Kommunikation (ADAE) wurde, war er stellvertretender Präsident des höchsten Gerichtes Griechenlands gewesen. Rammos wusste, dass die Mitsotakis-Garde über ihn herfallen würde. Was noch gestern in der Tat passierte. Der Regierungssprecher behauptete in einer langen Rede, Rammos habe nur aus politischen Gründen so gehandelt, er sei ein Werkzeug der SYRIZA.
Kein Wunder, dass Tsipras gestern nach seinem persönlichen Treffen mit Rammos das Bonmot „Es gibt noch Richter in Berlin!“(2) benutzte.
Wessen Überwachung durch den Geheimdienst hat nun Tsipras heute im Parlament öffentlich gemacht? Es geht nicht mehr um unbekannte Journalisten, sondern um fünf der höchstrangigen Militärs und um den ehemaligen Energie-, jetzt Arbeitsminister Hatzidakis. Mittlerweile ist damit von zehn Personen bewiesen, dass sie vom Geheimdienst abgehört wurden. Einer von ihnen ist der Vorsitzende der PASOK, Nikos Androulakis. Jetzt kann man es als sehr wahrscheinlich ansehen, dass die Listen von weit über hundert Abgehörten, die seit Monaten vor allem von der Zeitschrift Documento veröffentlicht wurden, der Wahrheit entsprechen.
Hinzu kommt, dass es bei einigen der sechs Personen, deren Namen heute veröffentlicht wurden, bereits Hinweise auf dunkle Motive für die Überwachung gibt. Es sind die folgenden sechs:
„Konstantinos Floros
Der amtierende Chef des Generalstabs, Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates und regelmäßiger Gesprächspartner von hochrangigen NATO-Vertretern. Seine Amtszeit wurde vor einigen Tagen um ein weiteres Jahr verlängert.
Er war das Zielobjekt des Geheimdienstes mit dem Codenamen 519c. In dem Überwachungsbericht des Geheimdienstes, der durchgestochen wurde, wird auf den Kauf eines Hauses in der Region Papagos hingewiesen, bei dem der Verdacht besteht, dass ein Teil des Geldes „schwarz“ ist. Laut diesem Bericht gab der Chef des Generalstabs für das fragliche Haus 1.200.000 Euro aus, von denen 600.000 Euro „schwarz“ gezahlt wurden.
Darüber hinaus heißt es in dem Bericht über den Chef des Generalstabs, „seine Tochter wohnt in Agia Paraskevi in einer Residenz für 1.500 Euro, was zu besonderer Besorgnis über den Lebensstil und die Zahlungsfähigkeit des Zielobjekts führt“.
Kostis Hadjidakis
Der Energie- und spätere Arbeitsminister Kostis Hatzidakis wurde mindestens ein Jahr lang vom Geheimdienst überwacht. Die Überwachung wurde auf seinem Diensthandy durchgeführt, und der Überwachungscode für den Minister lautet 5046c.
Seine Gespräche mit Journalisten (vor allem Thanasis Koukakis und Takis Hatzis), mit anderen Ministern und Führungskräften der Partei der Neuen Demokratie, mit Geschäftsleuten, aber auch persönliche Gespräche wurden aufgezeichnet.
Charalambos Lalousis
Generalleutnant und ehemaliger Generalstabschef. Er hat eine Schlüsselposition für die Streitkräfte des Landes mit regelmäßigen Kontakten auf hoher Ebene mit Kollegen aus aller Welt. So war er beispielsweise vom 2. bis 4. August 2022 auf Einladung seines Amtskollegen Generalmajor Tamir Yaday zu einem offiziellen Besuch in Israel.
Theodoros Lagios
Ehemaliger Generaldirektor der Generaldirektion für Verteidigungsausrüstung und Investitionen, der im April 2021 plötzlich zurücktrat, was viele Fragen aufwirft, die unbeantwortet bleiben. Lagios akzeptierte die Übernahme des Postens „Verbindung zwischen dem Verteidigungsministerium und der Ständigen Vertretung bei der EU in Fragen des Kapazitätsaufbaus und der Programme der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) der EU“.
Eine solche Stelle existierte nicht, wurde aber sieben Monate später durch eine Änderung (1111/87 22.10.2021) im Verteidigungsministerium eingerichtet. Berichten zufolge hatte Lagios im Verteidigungsministerium und beim Ministerpräsidentenbüro für Verärgerung gesorgt, da er auf der strikten Einhaltung von Verfahren bestand, eine Haltung, die zu Verzögerungen führte, und man sich eine flexible und schnellere Abwicklung der Umsetzung von Rüstungsprogrammen wünschte.
Aristides Alexopoulos
Vizeadmiral (im Ruhestand) und Generaldirektor der Generaldirektion für Verteidigungsausrüstung. Er war aufgrund seines Status und des besonderen Interesses der Regierung an den Rüstungsprogrammen ein Ziel des Geheimdienstes.
Alexandros Diakopoulos
Dies ist der ehemalige Sicherheitsberater von Kyriakos Mitsotakis. Berichten zufolge wurde er vom Ministerpräsidentenbüro ins Visier genommen, als er im August 2020 in einem Interview mit dem TV-Kanal Open zugab, dass die griechische Marine das türkische Erdgas-Forschungsschiff Oruç Reis ausspionierte, und damit dem damaligen Regierungssprecher Stelios Petsas widersprach.“(3)
Mitsotakis wird weiterhin leugnen, irgendetwas gewusst zu haben. Wenn er das nicht tun würde, müsste er ja sofort seinen Hut nehmen.
Der Ministerpräsident und seine Garde reagieren wie gewohnt mit „Lügen, Psychoterror und autoritären Taktiken“(4). Es wird versucht, Rammos als neue Hauptbedrohung der „Sicherheit“ der griechischen Nation zu inszenieren. Mitsotakis rechtfertigt schon lange das Abhören (das er gleichzeitig leugnet) als notwendig, um die umfassende Bedrohung des Landes abzuwehren. Laut seiner Verschwörungstheorie wollen viele böses: Da sind die ausländischen Feinde, die Griechenland kaputt machen wollen. Zuerst ist es Erdogan, der Griechenland klein machen will, aber auch Liberale und ihre Zeitungen in vielen Ländern des Westens. Alle wollen Mitsotakis schlecht machen, um Griechenland zu schwächen. Deshalb braucht es Sicherheit, Sicherheit und Sicherheit. Und dafür stehe Mitsotakis mit seiner Stärkung der Polizei, mit der Überwachung und dem Schleifen demokratischer Rechte und Freiheiten.
Es wird viel spekuliert, ob die dreitägige Parlaments-Debatte über die Vertrauensfrage, die jetzt begonnen hat, den Parlamentarier:innen der Nea Dimokratia die Gelegenheit gibt, über völlig andere Themen zu sprechen, vor allem über die angeblich glorreichen Verdienste der konservativen Regierung in den letzten 3 1/2 Jahren und so eine Arena für den Wahlkampf zu haben, der bereits begonnen hat. Genau das hat Mitsotakis heute bereits angekündigt.
Trotzdem ist die heutige Enthüllung sicherlich eine große Belastung für Mitsotakis. Sie könnte eine wichtige Rolle für die weitere Entwicklung des Kyriakosgate-Skandals spielen.
Werden die Enthüllungen des Richters Christos Rammos letztendlich zum Sturz von Mitsotakis führen?
Anmerkungen
(1) https://griechenlandsoli.com/2023/01/16/das-schleifen-der-demokratie/
(2) Zur Legende um Friedrich II. und den Müller siehe Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Historische_M%C3%BChle_von_Sanssouci
(3) https://thepressproject.gr/protasi-dyspistias-kata-tis-kyvernisis-gia-tis-parakolouthiseis-katethese-o-al-tsipras-ta-6-prosopa-pou-parakolouthouse-i-efp/
(4) AthensLive Wire Newsletter vom 27.8.2022 (https://griechenlandsoli.com/2022/08/27/big-brother-kyriakos/)
Misstrauensvotum gegen griechischen Ministerpräsidenten
Der Überwachungsskandal in Griechenland, in dem sogar ein Minister ausspioniert wurde, führt nun zu einem Misstrauensvotum gegen die konservative Regierung. Die Opposition wirft ihr vor, den Skandal unter den Teppich zu kehren.
https://netzpolitik.org/2023/ueberwachungsskandal-misstrauensvotum-gegen-griechischen-ministerpraesidenten/#netzpolitik-pw
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Athener Abhöraffäre
Nacht der langen Messer
Griechenlands Premier entlässt Polizeioffiziere. Tsipras stellt Misstrauensantrag. Hintergrund ist großangelegte Abhöraffäre
https://www.jungewelt.de/artikel/443650.athener-abh%C3%B6raff%C3%A4re-nacht-der-langen-messer.html
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