„Ein Gesetz für solidarische Ökonomie“

Artikel von Margarita Tsomou aus OXI, Juni 2017

margarita_tsomou

Foto: privat

„Seit Jahren befindet sich die griechische Gesellschaft in Transformation – neben Verzweiflung und Arbeitslosigkeit jedoch, hat die Krise auch neue Prozesse angestoßen: in den letzten 5 Jahren ist im Land eine beeindruckende Konjunktur graswurzelbasierter Solidaritätsinitiativen zu beobachten – es boomen die unentgeltlichen Tauschnetzwerke, die Umsonstmärkte, der ökologische Selbstanbau, die Kooperativbetriebe und Selbsthilfenetzwerke.
Lange handelte es sich um ein Feld, das aus inoffiziellen Zusammenschlüssen kleiner und mittlerer Kollektive bestand, die weder eine Rechtsform hatten noch in einen institutionalisierten Rahmen eingeordnet waren. Im Laufe der letzten Jahre jedoch sind diese Initiativen zu dem angewachsen, was man gemeinhin den „dritten Sektor“ nennt: nun beginnt man sich zu professionalisieren und Pionierarbeit zu leisten für den Aufbau der sogenannten SSE (Social Solidarity Economies) – der sozialen Ökonomien, die mittlerweile offiziell 10% des europäischen Wirtschaftsvolumens ausmachen.
Gestützt wird diese Professionalisierung zum einen durch eine neue Generation von Aktivist*innen, die neue Infrastrukturen schaffen, um die Initiativen zu stärken und zum anderen durch das, Ende 2016, verabschiedete Gesetz, dass den Trend nun auch von staatlicher Seite befördern möchte.
Wie wichtig dieser Trend ist zeigt auch, dass der europaweite Kongress für soziale und solidarische Ökonomien dieses Jahr zum ersten Mal in Athen stattfinden wird. Eine Reihe von neuen Netzwerken, wie die Bildungsprojekte „DOCK“ oder „Komvos“, die „Griechenlandweite Zusammenkunft der Kooperative“ oder die „Koalition für Gemeingüter“ haben unter dem Motto „Demokratie in der Ökonomie – Emanzipation der Gesellschaft – Verstärkung der Transformation“ den Kongress „Universse 2017“ zusammengestellt, in dem ökologische Landwirtschaft, kollektives Wohnen, Zeitbanken, alternative Währungen, fairer Handel oder die Kooperativbewegung thematisiert werden. Diese neu-organisierten Netzwerke verstehen sich als Orte, wo Wissen über Methodologien, Finanzierungsmöglichkeiten und Vertriebswege untereinander weitergegeben werden.
Ähnliches wird auch mit dem neuen Gesetz erzielt. Für die verantwortliche Ministerin Rania Antonopoulou würde „unter den Bedingungen des Mangels privater Investitionen und der Grenzen staatlicher Interventionen (…) das Ecosystem der SSE vielversprechendes Potential aufweisen, um die innerländische Produktion zu stimulieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen“.
Das Gesetz setzt zum ersten Mal Kriterien zur Bestimmung solidarischer Ökonomien fest, wie z.B. die demokratische Mitsprache aller Mitglieder, die Ausschüttung 35% des Gewinns an die Arbeitenden, einen Rücklauf von 10-30% für gemeinnützige Zwecke und die Verpflichtung den Rest zurück in den Betrieb zu investieren, zur Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Dabei werden 157 Mio Euro aus dem Junker-Wachstumspaket investiert, für einen Fonds zur Startfinanzierung derjenigen, die keinen Zugang zum herkömmlichen Kreditsektor haben sowie zur Eröffnung von Beratungsstellen für die Unternehmensgründung.
Inwiefern der neue gesetzliche Rahmen ausreicht, um solidarisches Produzieren angesichts der desolaten Lage der griechischen Wirtschaft zu begünstigen wird auch im Kongress diskutiert werden. Fragezeichen gibt es noch bezüglich der staatlichen Investitionsmengen, die im Vergleich mit der letzten Gesetzesmaßnahme von 2011 auf 2 Milliarden und damit viel höher angesetzt war, aber auch hinsichtlich der Tatsache, dass die Umsetzung der Gesetzesmaßnahmen an das British Council ausgesourced worden sind, das für seine Arbeit jährlich 500.000 Euro bekommen soll.
Kritik gibt es auch hinsichtlich der politischen Logik des Gesetzes. Nach Ansicht von Filippos Tsolakidis, Mitglied des Agrarkollektivs „Pervolarides“, wird darin nicht ausreichend beachtet, da solidarische Ökonomieansätze nicht nur auf die Produktion von Waren zielt, sondern auch auf die Generierung von „unsichtbaren“ Werten, wie Kooperation und Solidarität. Solidarische Ökonomien würden dabei nur als ein weiterer komplemänterer Zweig privater Ökonomie betrachtet, anstatt sie als politisches Tool zur gesellschaftlichen Trasformation des bestehenden Produktionsmodells im Hier und Jetzt einzusetzen – ein Tool zur Erweiterung etablierter Politikformen, jenseits Sachzwänge von TINA.

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Margarita Tsomou ist Mitherausgeberin des „Missy Magazine“, Kulturarbeiterin und Aktivistin zwischen Deutschland und Griechenland.“

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2 Antworten zu „Ein Gesetz für solidarische Ökonomie“

  1. bluecrystal7 schreibt:

    Hat dies auf meinesichtweise rebloggt und kommentierte:
    Wirtschaft geht auch solidarisch!

    „Ein Gesetz für solidarische Ökonomie, u.a in Griechenland“

    Veröffentlicht am 20. Juni 2017 von georgbrzoska.

    Artikel von Margarita Tsomou aus OXI, Juni 2017.

    Margarita Tsomou ist Mitherausgeberin des „Missy Magazine“, Kulturarbeiterin und Aktivistin zwischen Deutschland und Griechenland.“

    „Seit Jahren befindet sich die griechische Gesellschaft in Transformation – neben Verzweiflung und Arbeitslosigkeit jedoch, hat die Krise auch neue Prozesse angestoßen: in den letzten 5 Jahren ist im Land eine beeindruckende Konjunktur graswurzelbasierter Solidaritätsinitiativen zu beobachten – es boomen die unentgeltlichen Tauschnetzwerke, die Umsonstmärkte, der ökologische Selbstanbau, die Kooperativbetriebe und Selbsthilfenetzwerke.
    Lange handelte es sich um ein Feld, das aus inoffiziellen Zusammenschlüssen kleiner und mittlerer Kollektive bestand, die weder eine Rechtsform hatten noch in einen institutionalisierten Rahmen eingeordnet waren. Im Laufe der letzten Jahre jedoch sind diese Initiativen zu dem angewachsen, was man gemeinhin den „dritten Sektor“ nennt: nun beginnt man sich zu professionalisieren und Pionierarbeit zu leisten für den Aufbau der sogenannten SSE (Social Solidarity Economies) – der sozialen Ökonomien, die mittlerweile offiziell 10% des europäischen Wirtschaftsvolumens ausmachen.“

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